Tremonia Noctu

"Du irrst", sagt Biedermann leise. "Es ist nicht 'geil'. Es ist eine andere Art des Todesurteils." Irrst du oder zittert die Stimme des alten Mannes gerade etwas? Biedermann ist ein notorischer Pflichterfüller und du hast ihn trotz deiner Jugend bereits mehrere junge und dumme Kainskinder ohne jegliche Emotion vernichten sehen - ein Scharfrichter mit Berufsstolz. Doch dieser Moment scheint ihm nahezugehen. Er pausiert und richtet sich dann auf, blickt dich streng an.

"Das beste was du tun kannst, ist deiner Erzeugerin aus dem Wege zu gehen!" Da ist er wieder, der Patriarch. Mara blickt ihn an, nun offenbar erschöpft von ihrem Ausbruch und den Umständen. "Lass es gut sein, Vater", sagt sie leise. "Er ist in eine Falle gegangen." Ihre toten Augen blicken dich ernst an. "Oder besser gesagt, freudig hineingesprungen. Aber sie war wohl vorbereitet. Es hätte mir ebenso passieren können." Es wäre ihr nicht passiert. Da bist du sicher.

Biedermann schnaubt. "Du hast gesehen, was er getan hat. Wie ein Tier! Selbst wenn die junge Malina je wiederhergestellt..." Mara schüttelt den Kopf. "Geschehen ist geschehen. Für den Moment müssen wir uns auf das konzentrieren, was kommt. Sag es ihm."

Der alte Nosferatu schaut auf dich. "Ich habe mein Möglichstes versucht, aber das Urteil gilt: Ihr sollt herausfinden, was in Dortmund passiert ist und es dem Hof melden. Bis dahin genießet ihr völlige Bewegungs- und Handlungsfreiheit in der Stadt. Und euch droht die sofortige Vernichtung, wenn ihr sie verlasst. Ich habe..." Er wird leiser "...mein Möglichstes getan und euch einige Vorteile erkaufen können. Ich denke, ihr solltet bei unserer Familie beginnen. Vielleicht hat jemand überlebt. Es gibt einen kleineren Notunterschlupf am Bahnhof. Diese Karte öffnet ihn für euch." Er reicht dir eine Schlüsselkarte. Mara schiebt er eine Tasche herüber.

Dann nimmt Biedermann zwei elektronische Fußfesseln aus seinem Mantel. "Wisse dies, Nachkomme - wir werden immer wissen wo ihr seid."

Ist das beruhigend gemeint? Oder eine Drohung? Oder beides?

Ich höre ihm zu und nicke. Die Zeit, vorlaut zu sein, deine Gegenargumente zu bringen, kommt später. Fürs erste soll es genügen, den Kopf unten zu halten und sich nicht sehen zu lassen. Eine gute, alte Nosferatu-Tradition.

Dass Mara mich verteidigt, hätte ich nicht gedacht. Hat sie einfach nicht die Kraft zum Streiten? Hat sie Mitleid oder gar mütterliche Instinkte? Neee, wahrscheinlich einfach nur keine Lust gerade auf den Streit. Mit Sicherheit werde ich mir nachher eine Standpauke anhören dürfen, die in die Legenden eingehen wird. Vorausgesetzt ich überlebe die Prügel. Immer noch ist sie gefesselt, wahrscheinlich um sie davon abzuhalten, mir den Schädel abzureißen.

“Danke.” Ich nehme die Karte entgegen und stecke sie in meine Tasche. “Gab es denn irgendwelche letzten Zeichen, Nachrichten oder Warnungen, bevor die Lichter ausgingen? Eine ganze Stadt von heute auf morgen in Stille, da muss es doch Zeichen geben vor so einem Crash.”

Als er die Fußfesseln heraus holt, wird mir unwohl. “Die willst du mir doch nicht um den Knöchel wickeln, oder?”

"Nein. Reines Wickeln genügt nicht. Die Fußfessel muss so angebracht werden, dass sie nicht abgenommen werden kann", sagt Biedermann sachlich. "Auch bitt' ich euch, euch nicht das Bein abzuschneiden, um sie loszuwerden. Der Hof mag sie als Instrument der Überwachung sehen, doch ich kann euch damit im Auge behalten und im Notfall eingreifen." Mara sieht ihn rasch an und schüttelt stumm den Kopf.

Dann schaut sie dich an. "Es gab keine Zeichen, Kind. Sie sind zu vereinbarten Treffen einfach nicht mehr erschienen. Das war nicht ungewöhnlich - es hat im Sommer begonnen und die Nächte waren wie immer kurz, alle hatten genug zu tun... aber dann blieben auch andere Lebenszeichen aus." Biedermann nickt und fügt hinzu: "Da wir nicht länger mit diesen neuartigen Telefonen zu sprechen vermögen, ohne die Jäger auf uns zu locken, mussten wir auf Briefe warten, die nie kamen. Da fällt mir ein..."

Er reicht euch eine Liste mit Adressen. "Prägt euch gut ein, was ihr hier seht. Es sind die heimlichen Briefkästen, über die ihr Kontakt mit dem Hofe halten werdet. Eure Kontaktperson dort..." Mara blickt ihn an. "Was meinst du, Vater? Wirst du nicht...?" Er schüttelt den Kopf. Blickt dich ernst an. Auch Mara folgt dem Blick.

"Es gab eine Freiwillige am Hof... ihr Engagement trotz ihrer körperlichen Leiden wird allgemein bewundert..."

Oh shit.

Keine von den Informationen hier gefallen mir, wenn ich ehrlich bin. Nosferatu verschwinden nicht spurlos, sollten sie zumindest nicht. Früher gab es genug Wege zu kommunizieren, aber die Jäger haben alles, was Spaß macht, irgendwie ruiniert. Eingreifen? Irgendwie fällt es mir schwer, daran zu glauben, dass wie Batman durch ein Fenster schwingen würde, nur um meinen verfallenen Arsch zu retten.

Ich studiere die Liste so gut ich kann, bin mir aber sicher, dass ich ein oder zwei davon vergessen werde. Solche Listen kann man leider nicht aufheben, um später nochmal nachzuschauen - zu unsicher. Die Namen und Orte sagen mir natürlich nichts, doch ich will nicht schon wieder wie ein Idiot aussehen und versuche ernsthaft, sie mir zu merken. Dabei bemerke ich weder die Blicke meiner Erzeugerin und Ahnen noch die Worte, die sie austauschen.

Die peinliche Stille holt mich aus meinen eigenen Gedanken schließlich raus. Ratlos sehe ich zwischen den beiden hin und her. “Was?”

Mara hat die Hand auf die Stirn gelegt. "Deine spezielle Freundin Malina wird unser Kontakt zum Hof sein. Das ist... das Sahnehäubchen auf diesem... Tag." Biedermann schaut sie mitleidig an und wirft dir dann einen kalten Blick zu. "Nachfahre. Wisse, dass ich ein Auge darauf haben werde, dass Malina ihre Aufgabe getreu erfüllt. Aber dennoch kann ich nicht ausschließen, dass sie dir Übel will. Du hast... sie schwer getroffen." Er schweigt.

Das Auto fährt durch die Nacht. Mara reibt sich die Stirn. Die Wachen kommentieren das Geschehen nicht. Biedermanns Ghule, vermutlich.

Der Gedanke, dass Melina zumindest eine Zeit mit einem abgerissenen Kiefer durchs Elysium laufen muss, ist der erste positive Moment dieser ganzen Autofahrt. Ich muss Mara später fragen, wie genau ich diese Schlampe erwischt habe.

“Melina ist nicht gerade der Charakter, der Integrität und Ehrlichkeit auch nur in den Top 20 ihrer Eigenschaften hat. Die wird uns auf jeden Fall ficken - mich auf jeden Fall.” Mit meinen Ellbogen auf den Knien starre ich auf den Boden. Ich kann das Rauschen des Motors hören, die leichten Unebenheiten auf der Straße. Besonders weit kann es nicht mehr sein. Ein Teil von mir will unbedingt raus aus diesem Van und ein anderer findet sich gerade damit ab, dass das hier mein Limbo ist. Für immer in einem hässlichen VW Van auf der Fahrt nach Dortmund. Immer noch besser als Dortmund selbst.

“So hab ich mir diese Nacht nicht vorgestellt.” Mein Blick sucht Mara, irgendwie hilfesuchend und entschuldigend zugleich.

Maras Blick trifft den deinen und für einen Moment sucht sie etwas darin, was sie offenbar nicht findet. Sie lässt ihre Schultern etwas hängen. "Ich auch nicht, Kind. Und vielleicht ist es meine Schuld. Vielleicht war ich nicht streng genug. Hätte ich nur etwas besser... dann wärst du jetzt der Neugeborene und nicht Malina." Auch das noch. Biedermann schüttelt leicht den Kopf. "Manch einem steckt der Teufel bereits im Leibe. Da ist alle Liebesmüh vergebens, Tochter." Du bist sicher, dass dies der Moment ist, wo dich ein Sterblicher enterbt hätte. Aber Biedermann verzichtet auf eine theatralische Geste. Er weiß, wohin ihr fahrt. Spart sich die Energie.

"In der Stadtmitte scheint die Gefahr am größten zu sein", sagt er stattdessen. "Zumindest sind dort die meisten unserer Späher verschwunden. Andererseits wird dort wohl auch am meisten herauszufinden sein. Und eure Gaben könnten euch beschützen." Der Alte scheint selbst nicht recht daran zu glauben.

Es klopft vorne am Wagen. "Ah", sagt Biedermann. "Die Stadtgrenze naht. Ihr werdet euren eigenen Weg zum Hauptbahnhof finden müssen, so fürcht ich. Aber sei nicht zu verzagt, Tochter. Ich weiß, ich werde bald von dir hören."

Dieser ‘Ich bin enttäuscht und nicht wütend’ Anschiss sticht irgendwie doch schlimmer als die klassische apoplektische Tirade. Ich hab dutzende Argumente, warum es nicht *meine* Schuld ist. Es war eine Falle. Meine Präsentation war noch nicht fertig. Der Plan wurde einfach nicht verstanden. Offensichtlich haben es alle auf mich abgesehen! Es platzt beinahe aus mir heraus, doch ich belehre mich eines Besseren. Der Drops ist gelutscht - Ende. Zumindest für heute Nacht.

“Ok, ich habs gecheckt." Meine Frustration ist mittlerweile hörbar. Zumindest sind wir jetzt fast am Ziel. Den Weg zum Bahnhof zu finden sollte machbar sein aber von dort aus? Wo überhaupt anfangen? “Fuck me”, entweicht es mir bei der Vorstellung, was auf mich zukommt. "Hier trennen sich also die Wege schon?"

"Leb wohl, Nachkomme", sagt Biedermann. Der Tonfall ist freundlich, aber distanziert. So spricht man mit einem Fremden. Er und Mara legen die Stirn aneinander, dann öffnen seine Leute die Tür. Draußen ist es wie zu erwarten dunkel, aber du sieht eine Reihe von kleinen Gärten und dahinter die beginnenden Häuser. "Haltet euch an die Schienen", sagt Biedermann. "Bleibt verborgen. Sie werden euch zu eurem Ziel führen."

Seine Leute tragen zwei schwere Taschen nach draußen. Dann schließen sich die Türen und der schwarze Wagen fährt eilig davon, gen der Heimat.

Ihr steht am Straßenrand, genau zwischen zweien der weit auseinanderliegenden Laternen. Mara schultert eine der Taschen und marschiert los. Nach einigen Metern dreht sie sich um und wirft dir einen abwartenden Blick zu.

“Na klar. Bis später Gramps.” Ich steige aus dem Wagen und sehe mich um. Kleingärten mit Bungalows, hier und da eine Deutschlandfahne und mehrere gelbe BvB-Banner. Was für eine scheiß Stadt. Proleten, soweit das Auge reicht und dahinter noch mehr von der Sorte. Ich habe mich schon einmal aus dieser Suppe herausgearbeitet, das schaffe ich erneut.

Dennoch, jetzt da ich aus dem Auto bin, ist das Exil vor mir und meine komfortable Zuflucht weg. Die Realität setzt ein. Ausgestoßen und verarscht, nur weil diese dumme Kuh mir meinen Erfolg nicht gönnt. Verdammte Neider, arme Loser. Egal, das Leben ist kein Rennen, sondern ein Marathon - oder so. Ich bin vielleicht raus aus Essen aber in Dortmund, da gibt es kaum Konkurrenz. Der Markt ist völlig jungfräulich und reif für die Eroberung. Eine krasse Gelegenheit, wenn wir ehrlich sind. Hey, vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm?

Plötzlich spüre ich den Blick meiner Erzeugerin auf mir und zucke zusammen. Biedermann ist bereits weggefahren, sicherlich ohne einen Blick auf mich zu verschwenden. Ich nehme die schwarze Tasche an mich und werfe einen kurzen Blick hinein. Leider keine Millionen in Scheinen.

“Warte, ich komme.” Ich schließe zu Mara auf und laufe neben ihr her. “Ok, lass es mich hören. Jetzt ist so gut eine Gelegenheit wie jede andere. Gibs mir.”