[April 23] Eins, Zwei, Raserei (Björn / SL)

[Der Steiger]

Du starrst ungläubig auf deine blutigen Pfoten herab. Das muss ein Alptraum sein. Oder die Schlampe hat dich auf Drogen gesetzt. Du hast eine Menge Scheiße gesehen im Job. Aber das hier ist eine ganz neue Kategorie für die medizinisch-psychologische Erstbetreuung. Nicht, dass du das je nötig gehabt hättest. Bis heute zumindest.

Der Mond steht hell über der alten Scheune und beleuchtet die Szene mit einem fahlen Licht. Tatortaufnahme. Vergehen: Sachbeschädigung. Beschädigtes Objekt: Ein Kalb. Ort des Geschehens: Ländliche Gegend, möglicherweise südliches Dortmund, abgelegene Scheune einer größeren Hofanlage. Zeugen: Potentiell der Bauer und seine Familie (es brennt Licht). Definitiv das miese Drecksstück da drüben. Wobei sie wohl eher unter Komplizin fällt. Täter: Du. Opfer: Ebenfalls Du.

Warum zur Hölle hast du Pfoten statt Hände? Illegale OP wie aus einem billigen Horrorfilm?

Der Abend im Club war eher mäßig - Musik lahm, die Drinks schlecht gemischt, die Tanzfläche halbleer. Die Hippie-Schlampe mit dem ungepflegten Haar passte perfekt ins Konzept. Ab nach draußen, mittelmäßigen Sex haben, dann ins Bett und morgen wieder auf der Matte im PP stehen. Nur dass nach dem "ab nach draußen" alles irgendwie anders gekommen ist. Sie hat an dir rumgeknutscht und auf einmal warst du hier draußen, scheiße durstig, ballernde Kopfschmerzen und so ein dämliches Kalb direkt vor deiner Schnauze. Du bist ausgeflippt, das kommt vor, aber die Intensität macht dir Angst, wenn du zurückdenkst. Und warum genau hast du das Vieh gebissen?

Der Geschmack von Blut auf deiner Zunge und die seltsam spitzen Zähne in deinem Mundwinkel fügen weitere verwirrende Steine zum großen Puzzle dieser Nacht hinzu. Aber Puzzle sind für Loser. Dein Blick richtet sich auf die Schlampe und deine Augen verengen sich.

Seltsam - sie sieht deutlich hotter aus als vorhin noch. Aber auch irgendwie... bleicher.

[Björn Mölling]

Ich fixiere die Schlampe, präge mir jedes Detail ein. Etwa 1,70 groß, Haare straßenköterblond, etwas über Schulterlänge, Augenfarbe kann ich in der Dunkelheit nicht erkennen. Besondere Merkmale? Auffallend blass und irgendetwas stimmt mit ihrem Mund nicht. Ich kann aber nicht genau festmachen, was es ist. Verdammte Kopfschmerzen, wie soll man sich da konzentrieren?

Und hatte ich mir wirklich eben eingebildet, ich hätte PFOTEN? So ein Bullshit, die muss mir was in den Drink gemixt haben. Ich schaue erneut auf meine Hände herab und weigere mich, zu akzeptieren, was ich sehe. Unmöglich. Ich muss irgendeine Scheiße im Blut haben.
Apropos Blut, alles ist voll damit, meine … Pfoten … meine Klamotten, der Boden ringsum das tote Vieh. Normalerweise hasse ich den Geruch am Tatort. Heute stört er mich gar nicht. Komisch. Aber irrelevant.

Ich will wissen, was hier los ist. Die einzige, die mir irgendwelche Fragen beantworten könnte, ist die Hippie-Schlampe. Ich gehe auf sie zu. Zeit für die Zeugenvernehmung.

[Der Steiger]

Es ist die Art, wie sie da steht, die dich zumindest kurz über den gewählten Weg nachdenken lässt. Dieses selbstsichere Lächeln. Diese vollkommen ruhige Körperhaltung. Und die Tatsache, dass sie eine Fernbedienung in der Hand hält. Du schaust an dir runter. Da sind zu viele Kabel an deiner Weste. Und unangenehm aussehende größere Blöcke. Erinnert dich an die Attrappen aus euren Krisenübungen.

"Keine Sorge, Björn", sagt die Stimme und sie ist rau, wie Frostnächte im Winter. "Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wir haben vieles zu besprechen und ich möchte sicherstellen, dass du mir zuhörst, bist du das Wichtigste verstanden hast." Sie blickt auf deine Pfoten. "Ich würde nicht versuchen, die Weste abzunehmen. Vor allem nicht damit. Stehen dir gut, übrigens." Da ist richtige Freude in ihrer Stimme, was irgendwie krank ist. Vielleicht hat sie einen Hundefetisch.

"Setz dich." Sie lässt sich auf dem nackten Boden nieder und legt die Hände genießerisch auf die feuchte Erde. Allerdings ohne die Fernbedienung loszulassen. Schade.

[Björn Mölling]

Ich bleibe stehen. Besser so. Denn ich bin mir nicht sicher, ob meine Beine mich nicht gerade im Stich lassen würden. Was für eine abgefuckte Scheiße geht hier ab? Das ist doch wohl nicht echt, oder? Das muss ein Mind-Fuck sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Aber wieso? Ich denke fieberhaft nach, durchforste mein Gedächtnis, aber weder erinnere ich mich daran, diese Irre jemals zuvor gesehen zu haben. Noch habe ich die geringste Idee, was ich in der letzten Zeit getan haben könnte, dass das hier rechtfertigt.

Gut, dieser ekelhafte Möchtegern-Walter-White letztens, der hat von mir ne ziemliche Abreibung bekommen. Aber wenn mich meine Menschenkenntnis nicht täuscht, hatte der nicht genug Eier in der Hose, um nochmal wieder zu kommen. Geschweige denn genug Hirn, um sich so eine kranke Sache auszudenken. Sonst war ich in den letzten Wochen doch für meine Verhältnisse zurückhaltend… Nein, mir fällt kein Grund ein, wieso ich in dieser wirren Scheiße stecken könnte.

Ich zögere, gehe im Kopf meine Optionen durch. Vielleicht ist das alles Bullshit und die Fernbedienung gehört zum Monstertruck ihres kleinen Bruders. Das erklärt zwar immer noch nicht diese Pfoten-Sache. Und wieso sieht sie die auch, wenn die doch nur in meinem Kopf…. Fuck. Ich kann immer noch nicht klar denken. Meine Hände bewegen sich reflexhaft an meinen Kopf, wenn ich nachdenke, passiert das oft. Fuck. Krallen. Ich füge mir selber einen Kratzer an der Schläfe zu. Wie kann das sein, wenn die Dinger nicht da sind?

Meine Gedanken rattern weiter, erfolglos. Ich bin nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und das macht mir fast noch mehr Angst, als dieses Hurt-Locker-Reenactement. Ich brauche mehr Zeit und mehr Informationen. Also tue ich, was die Schlampe von mir will. Ich setze mich hin, erwarte für einen irren Moment, dass da ein Schwanz im Weg sein könnte, passend zu den Pfoten. Ist er nicht. Immerhin etwas.

Ich reiße mich zusammen und versuche, möglichst lässig und herausfordernd zugleich zu klingen. Auf keinen Fall so verwirrt, wie ich mich gerade fühle. „Also? Ich warte.“

[Der Steiger]

"Ich habe dich beobachtet, Björn", beginnt die Frau und schaut dich ernst an. So wie der Typ von der Staatsanwaltschaft, wenn er mal wieder eine Anzeige wegen Polizeigewalt gegen dich verhandeln muss. "Du weißt, wie elend und ungerecht diese Welt ist. Und du tust etwas dagegen. Ich bewundere dich dafür." Und das Verrückte ist: Sie meint es ernst. Oder sie ist eine verdammt gute Lügnerin. Diese Art von Überzeugung ist schwer zu fälschen.

"Vor allem kenne ich deine Frustration." Ihr Zeigefinger tippt nachdenklich auf der Fernbedienung, nicht direkt auf den Knöpfen, aber es macht dich dennoch nervös. "Was du auch tust: Es ist nicht genug. Es gibt immer den nächsten Dealer, den nächsten Räuber, den nächsten Ehemann, der seine Frau schlägt. Zeitgleich geht die Welt den Bach runter, das Klima wird uns alle vernichten, es wird wieder Krieg geführt und die Umwelt jeden Tag mehr und mehr zerstört." Sie beugt sich ein wenig vor. "Hattest du nicht schonmal das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt? Dass irgendjemand in den Schatten diese Entwicklung lenkt?"

Du kannst ihre Augen sehen. Sie sind seltsam. Du hast Leichen mit schöneren Augen gesehen. Aber gleichzeitig nimmt die Nähe etwas von dem Mysterium der Frau. Du spürst eine große Müdigkeit in ihren Worten. Bei all ihrem unnatürlichen Gehabe - die Frau ist abgekämpft. Was sie natürlich nicht weniger gefährlich macht, eher im Gegenteil.

[Björn Mölling]

Oh Gott, Psychogelaber und Verschwörungstheorien. Pseudo-Greta scheint auf einem ganz seltsamen Trip zu sein. Nicht mit mir.

„Bring sie dazu, dir Fragen zu beantworten. Psychos, die reden, beißen nicht“, erinnere ich mich an das, was ich über solche Situationen gelernt habe. Oder … sprengen dich nicht in die Luft.

„Reden wir nicht über mich, reden wir lieber über dich, Schätzchen.“ Ich bin zufrieden damit, wie ruhig meine Stimme klingt. Aber das ist ja auch nicht das erste Mal, dass mir jemand dumm kommt. Zugegeben, das hier ist ne härtere Nummer, als ich es gewohnt bin, aber gleichzeitig so surreal, dass ich immer noch nicht so ganz glaube, das wirklich zu erleben. „Gegen wen kämpfst DU und warum? Wer sollen diese Leute im Schatten sein?“

[Der Steiger]

Sie zieht die Augenbraue bei dem 'Schätzchen' hoch und tippt einmal demonstrativ auf die Fernbedienung. Diesmal sehr in die Nähe der Knöpfe. Auf deine Fragen hingegen setzt sie sich aufrecht. "Sie treten unter vielen verschiedenen Namen auf. Sie existieren überall auf der Welt und haben alle Gesellschaften unterwandert - schon seit dem Mittelalter, eigentlich sogar schon Jahrtausende früher." Die Frau blickt sich um, schaut zum Bauernhaus, als ob euch jemand von dort belauschen würde.

"Sie trinken das Blut von Menschen, sogar von Kindern! Sie haben unglaubliche Macht und Reichtümer aufgehäuft und es gibt unter ihnen verschiedene einflussreiche Familien, mit magischen Kräften. Sie stehen hinter jedem einflussreichen Politiker oder Geschäftsmann unserer Zeit und geben diesen heimliche Anweisungen." Eine dramatische Pause. "Sie nennen sich..."

Du hast eine ziemlich gute Idee, was sie als nächstes sagen wird.

[Björn Mölling]

Oh bitte. Greta goes QAnon? Was für eine verfickte Scheiße. Trotzdem muss ich vorsichtig sein, sie ist offensichtlich eine von der empfindliche Sorte. Emanzipiert und so. Bloß nichts politisch Unkorrektes sagen jetzt, was?

Ich lehne mich leicht vor und unterbreche ihre dramatische Pause. „Vampire?“

Geplant war ein verächtliches Lachen, um die Absurdität zu untermalen, aber es bleibt mir im Hals stecken. Mein Hirn verbindet all die Dinge zu einem Bild. Ein ausgeblutetes Vieh, ein Biss in den Hals? Blutgeschmack in meinem Mund und diese spitzen Zähne? Nein. Unmöglich. Und was sollen dann bitte die abgefuckten Pfoten? Waren die Weiber damals nicht immer entweder Team Edward oder Team Jacob? Andererseits glitzert hier auch keiner, vielleicht also keine belastbare Quelle.

Trotzdem. Das ungute Gefühl bleibt. Das geplante Lachen gerät etwas zittrig. „Du wolltest jetzt nicht sagen, „Vampire“, oder?“ zum ersten Mal in meinem Leben wünsche ich mir eine gute alte Verschwörungstheorie.

[Der Steiger]

Sie legt den Kopf schief und runzelt die Stirn, sieht dich einfach nur schweigend an, während die Realität langsam einsinkt. Irgendwie wünschst du dir gerade, sie wäre wirklich nur eine gewöhnliche Antisemitin. Schließlich lehnt sie sich etwas zurück, räkelt sich wie eine Katze und blickt zum Himmel. "Sie nennen sich nicht... so. Es wird der Name 'Kinder des Kain' bevorzugt. Verstehst du, Björn, manchmal muss man Feuer mit Feuer bekämpfen."

Wieder fixieren ihre seltsamen Augen dich. "Ich weiß, es ist schwer zu glauben. Vor, oh, 37 Jahren war ich genau dort, wo du jetzt bist. Ich war jünger, natürlich. Und weniger kampferprobt. Derjenige, der mich in die Nacht holte, sah andere Dinge an mir als... bewahrenswert an. Ich habe es zunächst auch nicht glauben wollen. Bis ich gesehen habe, wie uralte Monster unsere Gesellschaft kontrollieren. Wie sie Politiker nicht bestechen, sondern ihnen den Geist verwirren, bis sie rechts und links nicht mehr unterscheiden können. Wie sie andere in die Sklaverei zwingen. Wie sie Verbrecher beschützen, Drogen unter die Menschen bringen, Mörder aussenden - alles für einen ewigen Krieg." Sie setzt sich gerade hin, aufrecht.

"Wie willst du den Kampf kämpfen, wenn du nicht einmal weißt, wer deine Gegner sind?"

[Björn Mölling]

Ich starre sie für einen Moment nur an. Einen langen Moment. Ohne zu blinzeln. Mein Gehirn weigert sich, zu akzeptieren, dass sie etwas anderes sein könnte als eine Verrückte auf Drogen. Aber andererseits habe ich schon verdammt viel Scheiße gesehen. Und die Leute vom Tatortdienst und dem KK 11, unsere Experten für die Mordkommissionen, erzählen hin und wieder ganz schön verrückte Geschichten. Gut, manche von denen sind verrückt. Wäre ich auch, wenn ich täglich Leichen streicheln würde. Aber trotzdem - es geschehen merkwürdige Dinge in Dortmund.

Also, Arbeitshypothese: Sie meint definitiv, was sie sagt. Sie glaubt wirklich an eine Parallelwelt von untoten Blutsaugern. Was ich hier gerade erlebe, kann ich auf keine andere Art erklären. Ha, ist „erleben“ dann noch der richtige Ausdruck? Fuck, meine Gedanken sind immer noch nicht so fokussiert, wie sie sein sollten. Ich rufe mich selbst zur Ordnung, und blende geistige Störgeräusche so gut aus, wie es geht. Normalerweise bin ich darin ganz gut. Heute fällt es mir schwer.

Ich muss mehr darüber wissen, was hier los ist und sie scheint reden zu wollen. Bleiben wir doch erstmal dabei, ihr Fragen zu stellen. Ich werfe einen schnellen, prüfenden Blick rüber zum Bauernhaus und scanne gleichzeitig die Umgebung ab. Es sieht nicht so aus, als würde uns in den nächsten Minuten jemand stören. Großartig, ich kann mir nichts schöneres vorstellen, als weiter mit ihr allein zu sein. Aber immerhin Zeit zum reden. Mein Blick richtet sich wieder auf sie.

„Moment.“ ich klinge halbwegs souverän. „Bevor wir über deine Vampirverschwörung reden und über meine … Gegner …“ - meine Klauen malen unsichtbare Anführungszeichen in die Luft. Sieht albern aus mit Pfoten. Mache ich lieber nicht noch mal. „will ich erst wissen, wer oder was ich bin.“ Den Zusatz „deiner verrückten Meinung nach“ schlucke ich lieber herunter, wer weiß, wie nervös ihre Finger sind? „Du sagst also, ich bin ein Vampir?“ Ganz kann ich nicht verhindern, dass man die Skepsis in meiner Stimme hört. „Und du auch?“ Ich bin nicht ganz sicher, ob der nächste Satz klug ist, aber ich kann ihn mir nicht verkneifen. „Dann beweise es mir.“

Ich lehne mich wieder leicht zurück und warte ab.