[April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Eine Sammlung vergangener Gräuel. Kein Vergessen. Kein Vergeben.
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Der Steiger
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Der Steiger »

Genosse - eine mit nicht wenig Ballast geladene Anrede und der Mann verzieht kurz das Gesicht. "Mein Name", sagt er dann leise und reicht dir eine Visitenkarte "ist Iosef Maslanovic". Auf der Visitenkarte steht kein Name. Nur ein M. Und eine Telefonnummer. Er blickt dich ernst an. "Für absolute Notfälle. Rufen Sie diese Nummer an, dann ist in 30 Minuten jemand am Förderturm auf dem Rastplatz Beverbach."

Er schaut aus dem Fenster. "Ansonsten ist der Job einfach. Die Finanzen in Ordnung halten, neue Geschäftsfelder finden, Profit erhöhen. Und Worten Taten folgen lassen. Wobei ich persönlich denke, eine Exekution wäre gnädiger gewesen. Sauberer."
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Feodor Mykyta Petrov
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Feodor Mykyta Petrov »

Ich verziehe auch das Gesicht und nicke dann. Mit der Art von Ehrlichkeit kann ich etwas anfangen.
“Für ‘sauber’ wurde einer wie ich nie gebraucht”, sage ich ihm ebenso ehrlich, es ist ein Tausch. Ich nehme die Karte und werde sie verbrennen, sobald ich mir die Nummer gemerkt habe.


Ich habe nie viel davon gehalten. ‘Exekution ist gnädiger’. ‘Tod bringt Frieden’. Mir schmeckt das alles zu sehr nach Aufgeben. Nach Feigheit davor, die eine Handbreit weiter durch den blutigen Schlamm zu kriechen. Davor, dass die Dinge hässlich werden.
Ich habe Schützengräben gesehen, Massengräber, die Reste, die übrig bleiben, wenn Soldaten durch ein Dorf ziehen. Ich wurde umgebracht und selbst dann habe ich nicht aufgehört, wieder aufzustehen. Wenn ich jetzt, nach alledem, damit anfange, ist es, als würde ich all das von davor mit Füßen treten, drauf spucken und quer darüber pissen. Ich scheiße auf ‘sauber’ oder ‘gnädig’.

Aber das sage ich ihm auch nicht. Vielleicht kann er es aus dem raushören, was ich ihm schon gesagt habe. Stattdessen sage ich ihm: “Из песни слов не выкинешь.” Man kann nichts mehr rückgängig machen, das schon passiert ist.
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Der Steiger
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Der Steiger »

Maslanovic nickt einmal unverbindlich, mehr nicht. Er hat wohl schon zu viele Kriminelle erlebt, die etwas versprechen - und vielleicht auch in diesem Moment von der hochheiligen Wahrhaftigkeit ihres Versprechens überzeugt sind - und dann doch ganz anders gehandelt haben, als sich die Situation geändert hat. Für ihn bist du ein toter Mann, der es nur noch nicht gemerkt hat. Oder, um präzise zu sein, längst Asche.

Der Wagen gleitet über die nachtschwarze A40, den Ruhrschnellweg. Zu dieser Zeit ist kein Stau und so gleitet ihr leise und unbemerkt durch die Domäne Essen hindurch (die Autobahn ist als Verkehrsweg inoffiziell neutraler Grund unter den Ruhrfürsten, auch wenn du von Fällen gehört hast, wo Fahrzeuge von lokalen Kainskindern kontrolliert wurden) und gelangt nach Bochum. Zentrum, Stadion, Harpen... und dann wächst deine Nervosität wieder, da die erste Dortmunder Abfahrt ausgeschildert ist. Aber der Wagen verlässt die A40 noch nicht sondern fährt weiter auf das Stadtzentrum zu.

Du bemerkst, wie Maslanovic seine Krawatte lockert und trotz seines professionellen Gehabes nun deutlich öfter aus dem Fenster schaut.

Ihr fahrt auf die Raststätte Beverbach auf und tatsächlich wartet eine dunkle Limousine für euch am Förderturm. Daneben steht ein gedrungener Kerl, die Hände vor dem Bauch zusammengelegt. Ihm fehlt ein Ohr. Maslanovic sieht dich an. "Hier trennen sich unsere Wege. Nutzen Sie die toten Briefkästen, wenn sie etwas brauchen. Gospodin Lebedev wünscht ihnen gutes Gelingen bei ihrem Unterfangen." Er wartet höflich deine Erwiderung ab, bevor du aussteigst und der Wagen in der Nacht verschwindet.
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Feodor Mykyta Petrov
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Feodor Mykyta Petrov »

Ich habe keine Luft an Beteuerungen an ihn verschwendet und fange auch jetzt nicht damit an. Er hat keine Gartenschere. Im Grunde ist er eine, nur in anderer Form. Also nicke ich, wo es die Höflichkeit gebietet, und schweige, wo sie es nicht tut. Er wirkt nervös. Ich bin es nicht. Es gibt vielleicht nur so und so viel Kapazität in einem Körper und einem Verstand für Nervosität. Ich bringe so gerade eben dieses Gefühl der Leere zustande. Vielleicht kommt die Panik morgen. Wäre nicht das erste Mal, dass der Verstand erst aufholen muss, was geschieht.

Ich nicke Maslanovic zu. Vielleicht sehen er und ich einander nie wieder. Wahrscheinlich wäre keiner von uns traurig deswegen. Aber dann wieder sind es genau solche halbgaren Bekanntschaften, die einem am Schuh kleben wie Scheiße. Wahrscheinlich sehen wir uns also doch wieder.
Wenn er irgendeinen Go-Getter-Talk von mir erwartet hat, irgendein Ventrue-Alpha-Gehabe, irgendeine schmierige Rede, dann hat er uns beide überschätzt. Er ist nicht so wichtig und ich bin zu russisch oder zu wenig russisch. “Прощайте”, sage ich ihm stattdessen.

Dann steige ich aus, richte meinen Mantel, unbewusst auch die Hose. Sitzt immer noch nicht. Ich habe mal gehört, dass das Gefühl normal ist. Hat mir ein Typ von zuhause erzählt, dem der Arm an der Schulter abgerissen wurde, von einer Granate. ‘Kein Hemd passt mehr, Fedja.’

Ich gehe auf den anderen zu, wahrscheinlich Vukho. An seiner Stelle wäre ich pissig, mich zu sehen. An seiner Stelle hätte ich mir ausgemalt, den Laden jetzt selber führen zu dürfen, auch wenn er halb abgebrannt ist.

“Надобраніч.” Das ist halb eine Feststellung (und eine Lüge) und halb eine Begrüßung. “Ти Вухо. Я Петров.” Ich halte ihm die Hand und den Arm hin, für diese Begrüßung. Wenn er anzufangen versucht, mir die Knochen zu zerdrücken, dann weiß ich bescheid. Wenn er es nicht tut, dann steht ihm das Wasser in Dortmund hoch genug, dass er weiß, dass er es allein nicht hinkriegt.
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Der Steiger
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Der Steiger »

Vukho wählt Option Nummer Drei und spuckt dir vor die Füße, bevor er sich abwendet und "Предатель!" flucht. Was natürlich auch gewisse Rückschlüsse zulässt. Er öffnet die rechte Hintertür des Wagens, hält sie aber demonstrativ nicht auf, während er um die Limousine herumstapft und sich in die linke Hintertür zwängt. Der Wagen hat verdunkelte Scheiben, aber du kannst durch die Vorderscheibe den Fahrer und eine Person auf dem Beifahrersitz erkennen.

Unter den üblichen Umständen würdest du nie in ein solches Gefährt steigen - das ist das klassische Setup für eine Exekution. Aber Lebedev wird schon dafür gesorgt haben, dass sein Kontakt hier dich nicht hintergeht. Oder?
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Feodor Mykyta Petrov
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Feodor Mykyta Petrov »

Lebedev hat auf jeden Fall versagt, wenn er meinen Mist mit ihm an die Reihen hier einfach durchgestochen hat. Ich verziehe das Gesicht und dann schüttele ich den Kopf. Ich lasse Vukho in seinem Auto tun, was er tun will. Es hat wenig Sinn, einzusteigen, mir über eine verspätete Exekution Sorgen zu machen und gleichzeitig die ohnehin schmalspurige Lage, in der ich Stecke, von ihm völlig zertrümmern zu lassen.
“Melde dich, sobald du dich beruhigt hast”, sage ich ihm, für ihn sogar auf russisch. Obwohl ‘Vukho’ nicht russisch ist. Er wäre nicht der erste, bei dem sich die Dinge vermischen. “Wir haben Arbeit.”

Ich sehe mich um. Kinderspielplatz. Tankstelle. Aussichtsplattform. Ich klopfe meinen Mantel ab, auf der Suche nach Zigaretten, Geld, meinem Zeug. Nach Dortmund laufen zu müssen, ist nicht gerade unter meinen Favoriten. Wer weiß, wie spät es ist. Ich hebe schon den Arm und drehe das Handgelenk, um auf meine Uhr zu schauen - ist die überhaupt da?
Taxi. Auto knacken. Anhalter. Ich gehe meine Möglichkeiten durch.
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Feodor Mykyta Petrov
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Feodor Mykyta Petrov »

Ich finde mein Zeug. Zigaretten. Feuerzeug. Geld. Smartphone. Ich gehe ein paar Schritte und zähle im Geiste mit, ab wann Vukho sich bewegt. Ich stecke mir eine Zigarette an. Nervenkitzel, die kleine Flammer vor mir. Da sind vage, rote Erinnerungen an größere, viel größere. Ich bin einmal durch Feuer gerannt und habe mich fast verloren. Jünger war ich da, dümmer. Fast alle, die mit mir gerannt sind, sind tot.

Das Geräusch von Vukhos Auto höre ich, sobald ich weit genug gegangen bin. Eine halbe Zigarettenlänge. Ich schalte mein Handy ein und rufe mir ein Taxi. Und dann setze ich mich auf eine Plastikbank auf dem Rastplatz und starre Vukhos Auto an, während ich warte. Ich lasse ihn die Narben sehen. Davon habe ich reichlich. Ich lasse ihn darüber nachdenken, wie es in Zukunft laufen soll. Ob er sich wirklich mit Lebedevs Ordern anlegen will. Ob er mich genug aus dem Weg haben will, dass er mich hier einfach abknallt. Jetzt gerade ist vielleicht eine der besten Gelegenheiten für ihn. Ich bin schwach, es ist weit draußen, die Kameras von der Tankstelle reichen nicht bis hier.

Eine Sache, die ich in den Jahren seit meinem Tod herausgefunden habe: Eine Leiche kann auch starren wie eine. Und so starre ich ihn und sein Auto an. Ich muss mich nicht bewegen oder blinzeln. Einer wie ich muss auch eine Wartezeit nicht mit Reden füllen. Einer wie ich muss gar nichts mehr außer tun, was er zu tun hat. Wie ich sagte: Die Dinge werden brutal einfach, heruntergeschnitten bis auf die blanken Knochen.

Während ich sitze und starre, gehe ich die Adressen durch, die ich habe. Ich gehe die ersten Schritte durch, die ich machen muss. Den Laden ins Laufen bringen. Mich vorstellen, alle einladen, Vodka, Sauna, Essen, Frauen. Ich muss sehen, wen es erwischt hat. Und warum. Wahrscheinlich auch, warum es Vukho nicht erwischt hat. Lebedev wird sich das auch fragen. Warum Maslanovic sich und mich das nicht gefragt hat, als er den treuen Speznaz Vukho in so hohen Tönen gelobt hat - keine Ahnung. Er kam mir nicht blöd vor. Vielleicht wollte er einfach nicht, weil er damit beschäftigt war, zu versuchen, bei mir noch nach zu treten.

Dann, meine Läden umverlagern. Ja, ich habe mir was in die eigene Tasche gesteckt, aber meine eigene Tasche war auch ohne das nicht leer. Ich habe Anlagen in Dortmund und in der Nähe. Ich gehe im Geiste durch, was ich habe. Mein Gedächtnis hat Übung, aber ich bin kein Wunderkind. Es gibt Konten, Accounts, ein ganzes Netzwerk aus Briefkastenfirmen, Posten, Wegen des Geldflusses. Wahrscheinlich hat mir das den Arsch gerettet, heute Nacht. Ich kann ein paar Dinge und ich kann sie insbesondere und gerade dann, wenn mein Land brennt.

Das Taxi braucht eine Weile. Ich lausche meinem kalten, toten Fleisch dabei, wie es sich wieder zusammensetzt. Ich bewege mich keinen Millimeter und starre weiter.
Soll der getreue Speznaz darüber nachdenken, was und wer ich bin. Er wird meinen Vorgänger gekannt haben. Er wird verstanden haben, dass Lebedev einsetzt, wen er einsetzt.

Als das Taxi kommt, stehe ich auf. Kein Strecken, kein Nichts. Gehört mit zur Show für Vukho. Einfach aufstehen und hingehen, einsteigen. “Ein Hotel, das jetzt noch Gäste aufnimmt”, sage ich dem Taxifahrer. “Teuer ist in Ordnung, aber nicht die Innenstadt.” Wenn er nichts weiß, lasse ich ihn Richtung Flughafen fahren und scrolle durch Check24, auf der Suche nach einem Hotel für internationale Fluggäste. Die nehmen zu jeder Zeit einen Gast. Und ich wäre dort nicht der Einzige, der bar im voraus bezahlen muss, weil das Gepäck verloren ging.

Während wir fahren, sehe ich Vukhos Auto zu, wie es an uns klebt. Willkommen in Dortmund, schätze ich also.
Zuletzt geändert von Feodor Mykyta Petrov am So Apr 16, 2023 2:46 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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Der Steiger
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Der Steiger »

Das Taxi zieht auf die B1, der Fahrer gähnt, während er den Rückspiegel zurechtschiebt. Ab und an blickt er hinein, aber wenn er die Limousine wahrnimmt, dann ist er desinteressiert (oder schlau) genug, sie nicht zu erwähnen. Ihr durchquert die Stadt im Süden, passiert das große Fußballstadion mit den gelben Stangen und den Florianturm. Weiter östlich weichen die Wohnhäuser größeren Bürogebäuden und Geschäften. "Flughafen" steht auf einem der Schilder, aber bevor ihr diesen erreicht, nutzt der Fahrer eine Abfahrt und bringt euch über eine Parallelspur zu einem Hotel.

Das Haus ist vergleichsweise klein - tatsächlich teilweise im Fachwerkstil gehalten - aber immerhin kein billiges Motel. Der Taxifahrer lässt dich aussteigen, nimmt ein eventuelles Trinkgeld und seine Bezahlung entgegen und fährt dann den nächsten Kunden abholen, ein Knochenjob ohne Pause. Die schwarze Limousine hat auf dem Hotelparkplatz gehalten. Du siehst das rote Glimmen einer Zigarette hinter der Windschutzscheibe. Ab und an lassen sich Konturen eines Gesichts erkennen, wenn derjenige an der Kippe zieht.

An der Rezeption sitzt eine junge Frau und schaut auf einen Monitor an der Wand.
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Feodor Mykyta Petrov
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Feodor Mykyta Petrov »

Bevor ich überhaupt ins Hotel gehe, gehe ich zu Vukho. Ich kann mir nicht leisten, ebenso unhöflich zu werden wie er, so einfach ist das.

Also stelle ich mich neben das Auto und warte, dass er die Scheibe herunterdreht. Vielleicht kriegt er auch seinen Kopf aus dem Arsch und versucht es noch einmal mit einer Begrüßung.
Während ich warte, kann ich mir auch gleich noch eine Zigarette anstecken. Ob ich süchtig bin? Ja, aber nicht nach Nikotin. Tabak und Rauch sind nur ein alter Trick, den ich neu gelernt habe. Sie geben einem einen Geruch. Genau wie das Rasierwasser und der andere Mist, den man sich an den Körper schmiert. Ohne all das? Kein Schweiß, kein nichts, nicht einmal ein feuchter Furz. Kein Geruch - das ist ein Problem, wenn Leute das wissen, darauf achten, danach jagen. Heute Nacht stinke ich nach Blut und kann kaum genug rauchen um das zu übertönen.
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Re: [April 23] Ein todsicheres Ding (Feodor / SL)

Beitrag von Der Steiger »

In der Tat, die Scheibe senkt sich. Vukhos Blick erinnert dich an eine Bulldogge mit Verstopfung. Er grunzt und nickt mit dem Kopf zu der anderen Autoseite. "Steig ein, Witzbold", sagt er auf Russisch. Und es klingt, als würde ihn jedes dieser Worte hart an Überwindung kosten.

Die Rezeptionistin ahnt nichts von dem kleinen Drama, das sich hier draußen abspielt. Du hast die Wahl: Die warm erleuchtete Lobby des Hotels oder die dunkle Limousine.
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