[April 23] Fortgebildet (Pezzi / SL)

[Der Steiger]

"Wenn ich die Wahl zwischen Hagen und Hölle als Wohnort hätte, würde ich Hagen vermieten und in der Hölle wohnen." Du weißt nicht mehr, von wem du dieses Bonmot aufgeschnappt hat - im Heim oder auf der Straße - aber es ist ziemlich viel dran. Besonders abends. Besonders wenn es regnet. Irgendjemand da oben - oder da unten - mag dich gar nicht.

Dummerweise bietet die Dortmunder Volkshochschule den Kurs "Deeskalation durch Gesprächsstrategien" nicht an. Hagens VHS dagegen schon. Und so packst du deinen Rucksack möglichst dicht zusammen, ziehst die Jacke vor der wohlgeformten Brust fest und machst dich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Immerhin - nur zehn Minuten Fußmarsch. Die anderen Teilnehmer stehen teilweise noch im Foyer oder sind draußen losgelaufen, zu ihren Autos, zur Haltestelle. Vor dem Gebäude sind zwei der Laternen ausgefallen. Und das gerade auch noch neben der dekorativ gepflanzten Linde, die das Licht von der Straße abblockt. Der Weg ist voller Pfützen und du gibst dir große Mühe, nicht hineinzutreten. Schuhe sind teuer.

Deine Augen sind am Boden als deine Instinkte anspringen. Eine Milisekunde zu spät. Etwas Großes und Schweres kracht aus den Ästen auf dich herab und du schlägst mit dem Kopf auf dem Boden auf. Das Gewicht auf deinem Rücken, die Arme die dich festhalten - all das weckt alte, nie ganz verdrängte Erinnerungen. "Das war damals!" geht es dir durch den Kopf. "Du bist kein Opfer mehr!" Gerade willst du einen oft geübten Befreiungsgriff anwenden, da schlägt eine Faust mit einem Stein darin gegen deine Schläfe.

Du schmeckst Eisen und die Nacht wird noch schwärzer.

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Ein anderer Ort. Ein großer Raum? Schwer zu sagen. Wenig Licht. Es muss immer noch Nacht sein da draußen. Oder schon wieder? Dein Kopf schmerzt erstaunlich wenig. Dafür ist deine Kehle trocken. Du bist durstig. Hungrig. Und nackt, wie du plötzlich realisierst. Aber offenbar nicht mehr als das. Keine Schmerzen an altvertrauten Stellen. Und deinen Kopf hat man auch versorgt. Dein tastenden Finger spüren nicht einmal mehr eine Wunde. Wie lange hast du hier gelegen?

Du stehst auf wackligen Beinen auf, als hinter dir ein Rasseln ertönt und etwas deinen Hals nach hinten zieht. Ein eiserne Fessel, mit einer schweren Kette verbunden, an der Wand verschweißt.

Offenbar war deine Einschätzung falsch. Jemand hasst dich da oben. Aus voller Seele.

[Pezzi]

Ein paar der Gesichter hatte ich schonmal gesehen. Man kennt sich eben und hat ähnliche Ziele. Andere Teilnehmer waren mir fremd. Und die Blicke von Wenigen, sprachen die üblichen Bände. 'Was will so jemand hier?' In der Regel waren es Studierende aus reichen Elternhaus, die nach dem Studium in die Firma von Papa einstiegen, die so auf Gothics oder andere Randgruppen runter schauten. Für die habe ich aber oftmal nicht mehr als ein freundliches Lächeln über. Das ärgerte die in der Regel am Meisten.

"Vielleicht war es einer von denen?" war mein letzten klaren Gedanken, ehe die Reflexe, das Training und die alte, verborgene Panik einsetzten. "Nei...n!", Dunkelheit. Stille.

Hunger und Durst. Kühle Luft am ganzen Körper. Letzteres reicht aus, um alte Wunden bei mir aufzureißen. Die Atmung wird schneller. Ich merke es ganz deutlich. Nochmal mehr, als die Kette mich wieder so unerwartet zu Boden zerrt. Meine Hände packen um das kalte Metal an meinem Hals und die Finger verkrampfen sich; reißen an den Ketten.

"Lasst mich hier raus!", erklang meine Stimme rau, wegen der Trockenheit im Mund. Vielleicht kann man die Furcht raus hören? Ist mir aber egal. Ich muss hier raus.

[Der Steiger]

"Raus-raus-raus..." hallt das Echo in dem Raum, was dir eine Idee von seiner Größe gibt. Eine kleinere Lagerhalle, möglicherweise. Jetzt wo sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erahnst du mehr von deiner Umgebung. Um dich herum ist ein Gatter, nicht höher als 1,50 Meter. Ziemlich sinnlos um dich aufzuhalten und auch überflüssig dank der Kette. Dahinter siehst du zwei seltsame Stäbe mit rundlichen Aufsätzen, etwa drei Meter hoch.

"Zuuuuiiiiiiiiiiiiiiiiii!" Der Ton lässt dich die Zähne zusammenbeißen. Mikrofon-Rückkopplung, verdammt laut für deinen Zustand. Irgendjemand flucht leise. Dann gehen die beiden großen Standlichter an und blenden dich. "...wie mache ich..." Ein Poltern. "...verdammt...okay... Test-Test, hey, kannst du mich hören?" Es ist immer noch viel zu laut. Eine Frauenstimme. Klingt genervt.

[Pezzi]

"Verflucht... flucht... ucht..." ertönte erneu mein Echo durch die Halle. Erneut ziehe ich an den Ketten, absolut vergebens. Was wird hier gespielt? Mein Blick wandert über die Szenerie vor mir.

Ich bin allein. Und ich fühle, wie die Panik langsam in Wut umschlägt. Das Geräusch der Rückkopplung lässt mich zusammen fahren. "Ahh..."

Mit der Hand schirme ich meine Augen von den Scheinwerfern ab. "Wat sin das für Sperenzkes? Wat willst du von mir? Komma bei mich bei, dann klären wir dat."

Vielleicht nicht unbedingt das cleverste Vorgehen, wie mir nach dem kleinen Wutausbruch in den Sinn kommt. Aber irgendwas scheinen die ja von mir zu wollen. Immerhin lebe ich noch und bin zumindest grundlegend versorgt worden.

[Der Steiger]

Die Stimme schweigt für einen Moment. Als sie dann spricht, ist der Tonfall völlig anders. Ruhig, freundlich und selbstbewusst. "Hallo Lucas - oder besser, hallo Pezzi", sagt die Frau aus dem Lautsprecher. "Ich muss mich bei dir entschuldigen. Für den ganzen Mist hier. Es ist zu deinem eigenen Schutz. Ich hole dich daraus, sobald ich kann." Sie schweigt für einen Moment. "Ich denke, du hast viele Fragen." Sie stockt nicht. Liest sie ab? Wenn ja, dann sehr gut. Oder hat sie diese Rede lange geübt?

"Lass mich mit der wichtigsten anfangen: Warum? Und die Antwort ist: Weil du bist, wie du bist. Weil du weißt, wie elend ungerecht diese Welt ist. Weil du tatsächlich etwas dagegen tust. Ich bewundere dich dafür."

[Pezzi]

Ich weiß nicht, ob mich die Tatsache beruhigt, dass die Frau mich kennt. Also - wäre sie bei meinem Spitznamen geblieben, dann stünde die Sache nun Anders. Aber, dass sie meinen Namen kennt - meinen Richtigen - lässt die Sache in einem anderen Licht erscheinen. Ich runtzel die Stirn und denke darüber nach. Jemand von dem Seminar? Keines meiner Kids, die kennen nur Pezzi und das ist auch gut so. Ämter? Polizei? Nein. Das erklärt alles nicht den Abriss, den man hier veranstaltetet. Jemand aus dem Freundeskreis?

"Ist das hier ein nicht ganz so billiger Scherz?" Ich klinge schon gleich viel gefasster, was man alleine daran erkennt, dass der Ruhrpott-Slang durch Hochdeutsch ersetzt wird.

"Ist jedenfalls nicht sonderlich witzig. Gib mir meine Klamotten zurück und lass mich gehen. Ich verspreche, dass ich die Polizei aus dem Spiel lasse."

[Der Steiger]

"Keine Sorge", sagt die Frau. "Du bist völlig sicher! Deine Kleidung ebenfalls. Ich musste sie dir ausziehen, damit sie nicht..." Ein Sekundenbruchteil Pause. "Hast du Hunger, Pezzi?" Jetzt wo sie es sagt, übernehmen wieder die primitiveren Teile deines Gehirns. Du hast Hunger. Du bist so hungrig wie wahrscheinlich seit Jahren nicht. Deine Eingeweide fühlen sich so leer an, als hätte jemand sie mit dem Hochdruckreiniger durchgefegt. Was - angesichts des nassen Bodens - vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich ist. Irgendwas in dir beginnt zu knurren und erst nach einer Sekunde merkst du, dass es deine eigene Stimme ist, die dieses Geräusch hervorbringt.

Du hattest vor dem Lehrgang gegessen. Wie lange warst du hier in dieser Lagerhalle?

[Pezzi]

Es ist ein seltsames Gefühl, wie der Verstand aussetzt und Etwas in mir die Kontrolle übernimmt. Es ist, als würde ich... verdrängt werden. Mein Verstand ist nur noch Statist in meinem eigenen Körper. "Jaaahhhh..." höre ich mich knurren, ehe ich wieder ich bin.

Ich schüttel mich. Wieder atme ich schneller.

"Wer... bist du?.... ... Was... ... ist mit mir?"

Ich zerre nochmal an der Kette. Ich muss hier raus.

"Lass mich frei!"

[Der Steiger]

Die Antwort ist ein lautes Quieken. Es scheint nicht aus dem Lautsprecher zu kommen. Tatsächlich siehst du, wie sich eine Schiebetür öffnet und hörst dahinter panische Geräusche. Dann stößt jemand - gerade außerhalb den Lichtscheins und mit einer Kapuze über dem Kopf - ein Schwein in das Gehege und schließt die Tür rasch dahinter. Das Schwein seinerseits (und du hast selten Schweine von nahem gesehen) eilt sich, von der Gestalt wegzukommen, nur um einen Meter vor dir stehen zu bleiben. Du kannst praktisch sehen, wie sich seine Nackenhaare aufstellen. Die Augen - fast menschlich - weiten sich in ihrer Angst.

Dann dreht das Tier um und wirft sich gegen das Gatter, wieder und wieder. Aber das Gatter hält.

Du hast gar nicht bemerkt, wie du vorwärts geschritten bist. Auf das Tier zu. Wieder knurrt etwas in dir. Und da sind kleine, spitze Stacheln in deinem Mund, die gegen deine Unterlippe drücken. Dein Blick aber ist auf das Schwein fixiert. Auf dessen wundervollen Hals.

[Pezzi]

Kaum war das Schwein in dem Gehege fixieren meine Augen es ohne Unterlass. Ich weiß nicht warum, aber ich merke ein Lächeln auf meinen Lippen, während ich näher komme. Schritt um Schritt. Warum mache ich das? Ich kann nicht anhalten.

Als ich wieder atme strömt ein seltsamer Geruch in meine Nase. Es zieht mich an und zugleich findet ein Teil von mir es ziemlich abstoßen. Der selbe Teil, der sich an der Panik des Tieres labt und es betrachtet, wie... Beute?! Und genau dieser Teil in mir macht einen Satz nach vorne und drängt meinen Verstand zurück.

Noch während die spitzen Zähne entblößt werden, knallt meine blanke Faust in den Brustkorb des Tieres und lässt lautstark Rippen brechen. Das Tier quickt auf und selbst ich höre den Schmerz heraus, der in der Panik des Schweins unter geht. Wieder und wieder schlag ich auf die Beute ein, ohne etwas tun zu können und zeitgleich... fuck... beiße ich in den Hals des Schweins.

Der Schädel bricht unter einem Schlag und Haut platzt blutend auf. Ich schmecke das Blut in meinem Mund und schlucke. Jesus Maria... ich trinke das warme Blut eines Tieres?! Und... ... es ist köstlich! Immerhin lassen meine Hände von dem Schwein ab und während das Quicken leiser und leiser wird, sauge ich immer kräftiger, suhle mich in dem Blut auf dem Boden.

Das Trinkgefäß ist irgendwann leer und während ich das Blut vom Boden lecke, kehrt langsam mein Verstand zurück an die Macht.

Mein Atem stockt und ich halte inne, als ich realisiere, was ich da tue... was ich getan habe. Meine Augen weiten sich so, wie das Schwein mich angeschaut hat, während es zurück gewichen war. Und nun weiche ich zurück. In die andere Ecke des Käfigs rutsche ich auf die Knie; umfasse diese mit blutverschmierten Händen. Ich kann nicht mehr klar denken, wiege auf dem Boden sitzend vor und zurück.

"Nein... nein... nein... ... das... ... das ist nicht wahr. Das ist nicht passiert... ... ... WAS MACHST DU MIT MIR?!"

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Wahrnehmung: 5 Erfolge (schmutziger Triumph)
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