[Mai 2023] Beste Lage [Feodor, Larissa, offen]
Verfasst: Di Mai 30, 2023 1:40 pm
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Es ist eine Nacht, die langsam beginnt. Ich zwinge sie dazu, denn ich will nicht, kann nicht ewig getrieben sein. Die Anwälte, Vukho, Lebedev, Notartermine, zeitbedingte Bankgeschäfte… ah.
Wenn ich in meine eigene Dunkelheit hinunter steige, dann lasse ich all das für eine wunderbare, rote Zeit hinter mir. Ich schaue dort unten nicht auf die Uhr, ich schaue in Gesichter. Ich achte dort unten nicht auf meinen Terminkalender, ich achte auf die erst so feinen, dann tiefer und tiefer werdenden Risse zerbrechender Schicksale.
Das Blut*? Es ist der Sinn, der Antrieb, der Grund. Doch all das andere? Wer jemals in einem Restaurant mit Michelin-Stern war, müsste das nicht fragen. Wer jemals bewusst zu viel Geld für den Wein oder Whisky oder Vodka bezahlt hat, um dann die Flasche in der Hand zu fühlen, dem Geräusch von Korken oder Deckel zu lauschen, während der Kellner oder die Dienerschaft sie öffnen, wer dann das Glas in seiner Hand geschwenkt hat, um den Duft einzufangen lange bevor man den ersten Schluck trinkt - der weiß und muss nicht fragen.
So steige ich hinab in meine eigene Finsternis und als ich wieder zurück in den Alltag - die Allnacht? - gehe, begleitet mich doch dieser Geschmack, dieses Gefühl. Bevor ich losgehe, prüfe ich mein Aussehen im Garderobenspiegel. Der Rahmen ist kitschig, alt, angelaufen, der Spiegel selbst schon ein wenig fleckig.
Doch ich? Ich sehe gut aus. Hut, Stock, heller Sommermantel. Hundeleine, Lederhandschuhe, Lederschuhe. Mein Anzug sitzt beinahe perfekt, bis auf die Hose, die vielleicht auf ewig zu locker sitzen wird. Vielleicht bin ich der einzige, der das sieht. Ich hasse die Demütigung dieses Gefühls, ich liebe die Herausforderung. Und so lächele ich mein Spiegelbild an, mit dem besten Investment-Banker-Lächeln, dem Haifischgebiss der Immobilienhaie. Ich rufe das Blut an die Oberfläche, damit ich zwischen ihnen alle untertauchen kann. Keiner soll mich sehen bevor es zu spät ist**.
Pfefferminz? Besser ja, und ich wische mir eine Blutschliere von meinen Zähnen.
Die Wohnung, zu der ich in dieser Nacht muss, liegt zwischen dem Hafen und der Innenstadt. “Hafen” klingt falsch für jeden, der mal einen echten Hafen gesehen hat, aber die Gegend ist ein pulsierendes Herz für die Warenflüsse der Region und die Warenwege reichen nach überall in Europa.
Das gibt der Gegend keinen Glanz, aber es gibt ihr einen Sinn. Dortmund ist nicht groß und wild genug für Graffiti an jeder Ecke und die dickste Patina an hingeklebten Plakaten, Schmierereien, hingerotztem Abfall aus den Hirnen von Möchtegern-Rebellen, die selten genug Kreativität oder eigene Meinung aufbringen, um irgend etwas eigenes aus ihren Gedanken hervor zu würgen.
Diese Wohnung gehört zu einem Haus, das wir den Papieren nach während der Pandemie saniert haben. Wärmedämmung, neue Leitungen, Anschlussfähigkeit zum Glasfasernetz und so weiter. Zu Billigpreisen, denn ich weiß, woher die Leute kommen, die diese Arbeit machen. Die Wohnung selber ist auch billig, jedenfalls für die Größe. Drei Zimmer, Küche, Bad, ein Balkon zum Hinterhof. Der Fußboden ist alt, die Wände frisch gestrichen, das Bad ist ein Alptraum in braunen Kacheln aus dem vorigen Jahrhundert (wir haben in einer alten Halle noch Paletten von diesen Kacheln herumstehen und ich will gar nicht wissen seit wie vielen Jahrzehnten schon).
Ich fahre mit meinem teuren Mercedes in den Hinterhof, parke irgendwessen Smart fast zu und lasse den Hund raus. Sie hat die Nase am Boden kaum dass die Pfoten den dreckigen Boden berührt haben. Dann hetzt sie los, irgend etwas kleines flüchtet in die Dunkelheit zwischen Mülltonnen und abgestellten Fahrrädern. Ihr Jagdfieber ist ansteckend für mich und ich lächele. Doch sie gehört mir, also schnippe ich mit den Fingern und befehle sie an meine Seite. Ich brauche keine Leine, aber ich habe sie für die Schau, für die Geste, für den Status. Leder, natürlich.
Ich schließe die Tür zum Hausflur auf und gehe die Treppen hinauf. Oben steht die Tür offen, denn die Besichtigung ist noch im Gange. Einer der Jungs steht gelangweilt im Flur der Wohnung und sieht aus als wollte er nichts lieber als eine Zigarette und seine Ablösung. Ich greife in die Innenseite meines Mantels, ziehe die Schachtel mit Zigaretten heraus und biete ihm eine an. Er nimmt sie, obwohl ich weiß, dass er dieses andere Zeug raucht, vaping mit irgendeinem Aroma. Er nimmt sie und das heißt, dass er nicht die Eier hatte, sie abzulehnen. Ich klopfe ihm auf die Schulter und stecke die Schachtel wieder ein.
“Добрый вечер”, sagt er. Guten Abend. “Zwei sind da, auf dem Balkon”, erklärt er mir weiter auf russisch. Ich frage ihn nicht, warum er sie nicht belabert, um die Wohnung an den Mann zu bringen. Wozu auch.
“я продолжаю здесь”, sage ich ihm. Ich mache hier weiter.
Er nickt einfach und verzieht sich in die Ex-Küche, zu seiner Dose Eistee und seinem Smartphone. Ich gehe davon aus, dass er abhaut sobald die Dose leer ist. Ich gehe und mache einen Rundgang durch die drei-Zimmer-Küche-Bad und starre aus dem Fenster, auf Dortmund, meine neue Heimat.
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*Jagdwurf (3 Erfolge), -> Start H1
**Blush of Life, -> H1
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Es ist eine Nacht, die langsam beginnt. Ich zwinge sie dazu, denn ich will nicht, kann nicht ewig getrieben sein. Die Anwälte, Vukho, Lebedev, Notartermine, zeitbedingte Bankgeschäfte… ah.
Wenn ich in meine eigene Dunkelheit hinunter steige, dann lasse ich all das für eine wunderbare, rote Zeit hinter mir. Ich schaue dort unten nicht auf die Uhr, ich schaue in Gesichter. Ich achte dort unten nicht auf meinen Terminkalender, ich achte auf die erst so feinen, dann tiefer und tiefer werdenden Risse zerbrechender Schicksale.
Das Blut*? Es ist der Sinn, der Antrieb, der Grund. Doch all das andere? Wer jemals in einem Restaurant mit Michelin-Stern war, müsste das nicht fragen. Wer jemals bewusst zu viel Geld für den Wein oder Whisky oder Vodka bezahlt hat, um dann die Flasche in der Hand zu fühlen, dem Geräusch von Korken oder Deckel zu lauschen, während der Kellner oder die Dienerschaft sie öffnen, wer dann das Glas in seiner Hand geschwenkt hat, um den Duft einzufangen lange bevor man den ersten Schluck trinkt - der weiß und muss nicht fragen.
So steige ich hinab in meine eigene Finsternis und als ich wieder zurück in den Alltag - die Allnacht? - gehe, begleitet mich doch dieser Geschmack, dieses Gefühl. Bevor ich losgehe, prüfe ich mein Aussehen im Garderobenspiegel. Der Rahmen ist kitschig, alt, angelaufen, der Spiegel selbst schon ein wenig fleckig.
Doch ich? Ich sehe gut aus. Hut, Stock, heller Sommermantel. Hundeleine, Lederhandschuhe, Lederschuhe. Mein Anzug sitzt beinahe perfekt, bis auf die Hose, die vielleicht auf ewig zu locker sitzen wird. Vielleicht bin ich der einzige, der das sieht. Ich hasse die Demütigung dieses Gefühls, ich liebe die Herausforderung. Und so lächele ich mein Spiegelbild an, mit dem besten Investment-Banker-Lächeln, dem Haifischgebiss der Immobilienhaie. Ich rufe das Blut an die Oberfläche, damit ich zwischen ihnen alle untertauchen kann. Keiner soll mich sehen bevor es zu spät ist**.
Pfefferminz? Besser ja, und ich wische mir eine Blutschliere von meinen Zähnen.
Die Wohnung, zu der ich in dieser Nacht muss, liegt zwischen dem Hafen und der Innenstadt. “Hafen” klingt falsch für jeden, der mal einen echten Hafen gesehen hat, aber die Gegend ist ein pulsierendes Herz für die Warenflüsse der Region und die Warenwege reichen nach überall in Europa.
Das gibt der Gegend keinen Glanz, aber es gibt ihr einen Sinn. Dortmund ist nicht groß und wild genug für Graffiti an jeder Ecke und die dickste Patina an hingeklebten Plakaten, Schmierereien, hingerotztem Abfall aus den Hirnen von Möchtegern-Rebellen, die selten genug Kreativität oder eigene Meinung aufbringen, um irgend etwas eigenes aus ihren Gedanken hervor zu würgen.
Diese Wohnung gehört zu einem Haus, das wir den Papieren nach während der Pandemie saniert haben. Wärmedämmung, neue Leitungen, Anschlussfähigkeit zum Glasfasernetz und so weiter. Zu Billigpreisen, denn ich weiß, woher die Leute kommen, die diese Arbeit machen. Die Wohnung selber ist auch billig, jedenfalls für die Größe. Drei Zimmer, Küche, Bad, ein Balkon zum Hinterhof. Der Fußboden ist alt, die Wände frisch gestrichen, das Bad ist ein Alptraum in braunen Kacheln aus dem vorigen Jahrhundert (wir haben in einer alten Halle noch Paletten von diesen Kacheln herumstehen und ich will gar nicht wissen seit wie vielen Jahrzehnten schon).
Ich fahre mit meinem teuren Mercedes in den Hinterhof, parke irgendwessen Smart fast zu und lasse den Hund raus. Sie hat die Nase am Boden kaum dass die Pfoten den dreckigen Boden berührt haben. Dann hetzt sie los, irgend etwas kleines flüchtet in die Dunkelheit zwischen Mülltonnen und abgestellten Fahrrädern. Ihr Jagdfieber ist ansteckend für mich und ich lächele. Doch sie gehört mir, also schnippe ich mit den Fingern und befehle sie an meine Seite. Ich brauche keine Leine, aber ich habe sie für die Schau, für die Geste, für den Status. Leder, natürlich.
Ich schließe die Tür zum Hausflur auf und gehe die Treppen hinauf. Oben steht die Tür offen, denn die Besichtigung ist noch im Gange. Einer der Jungs steht gelangweilt im Flur der Wohnung und sieht aus als wollte er nichts lieber als eine Zigarette und seine Ablösung. Ich greife in die Innenseite meines Mantels, ziehe die Schachtel mit Zigaretten heraus und biete ihm eine an. Er nimmt sie, obwohl ich weiß, dass er dieses andere Zeug raucht, vaping mit irgendeinem Aroma. Er nimmt sie und das heißt, dass er nicht die Eier hatte, sie abzulehnen. Ich klopfe ihm auf die Schulter und stecke die Schachtel wieder ein.
“Добрый вечер”, sagt er. Guten Abend. “Zwei sind da, auf dem Balkon”, erklärt er mir weiter auf russisch. Ich frage ihn nicht, warum er sie nicht belabert, um die Wohnung an den Mann zu bringen. Wozu auch.
“я продолжаю здесь”, sage ich ihm. Ich mache hier weiter.
Er nickt einfach und verzieht sich in die Ex-Küche, zu seiner Dose Eistee und seinem Smartphone. Ich gehe davon aus, dass er abhaut sobald die Dose leer ist. Ich gehe und mache einen Rundgang durch die drei-Zimmer-Küche-Bad und starre aus dem Fenster, auf Dortmund, meine neue Heimat.
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*Jagdwurf (3 Erfolge), -> Start H1
**Blush of Life, -> H1