Tremonia Noctu

Gut. Der Plan hat einen Nachteil: Wir müssen wieder ran. Näher an die Zähne. Näher an die Klauen, die mich an den Schmerz in meinem Oberkörper erinnern. Zähne zusammenbeißen.

Ich nicke Björn zu. Es hat bisher ja ganz gut geklappt Lea zu bezwingen, ohne, dass wir uns abgesprochen haben. Dann wollen es doch mal mit einem gemeinsamen Plan probieren.

"Sie ist auf mich fokussiert. Ich versuche sie abzulenken und mich nicht beißen zu lassen, damit du sie von hinten packen kannst. Sobald du sie hast, pack ich mich zu. Sei nicht zu zimperlich... wir Vampire halten mehr aus, als Menschen."

Sollte Björn zustimmen, nähre ich mich wieder der Neugeborenen und forder sie heraus mich anzugreifen.

Pah. Zimperlich? Im Leben nicht. Ich nicke. Und mache mich bereit, Lea anzugreifen.

Lea zögert keine Sekunde und rast auf Pezzi zu, rötlicher Geifer um ihre Zähne, die Haare nun noch struppiger als zuvor und voller Schmutz und Blätter. Ihre Klauen haben ihre eigenen Kleider zerfetzt und ihr könnt die Reste ihres BHs unter dem Stoff erahnen. Die langen, weißen Dolche in ihrem Mund suchen Fleisch, in das sie sich bohren können und das Grollen aus ihrer Kehle ist tief und unmenschlich.

Aber es ist nicht länger das einzige Geräusch. Ihr hört einen Motor. Und Björn erahnt weiter unten am Berg Lichter, die sich rasch dem Ort nähern, an dem euch die Geißel hinausgelassen hat und an dem nun eine wahnsinnige Wilde versucht, euch zu fressen.

Ich bin kurz abgelenkt und konzentriere mich darauf, die Entfernung und die Geschwindigkeit abzuschätzen. Wie lange würde jemand brauchen, um hier zu sein? Von wo kann man uns sehen? Wieviel Zeit bleibt uns, um das hier zu erledigen? Können wir das schaffen? Oder sollte ich Pezzi mit der Irren alleine lassen und ein Ablenkungsmanöver starten? Denn dass das da unten nichts mit uns zu tun hat, glaube ich keine Sekunde lang.

Ich sehe Pezzi an, versuche herauszufinden, ob er die Geräusche auch bemerkt hat. Ansprechen will ich ihn jetzt nicht, ihn von Lea abzulenken, könnte tödlich sein.

Etwa eine Minute bis das Auto bei euch ist - grob geschätzt - und ob man euch da etwas abseits der Straße bemerkt, ist dabei natürlich völlig offen. Lea ist gerade das Gegenteil von subtil, aber wie so ein wütender Vampir auf Autos reagiert, weißt du nicht. Es ist natürlich möglich, dass sie vom Scheinwerferlicht dazu gebracht wird, regungslos stillzustehen. Nicht wahrscheinlich, aber möglich.

Ich bemerke das Auto nicht wirklich - mein Fokus liegt voll auf Lea -, aber ich versuche ohnehin sie von der Straße und Björn weg zu locken, damit mein temporärer Mitstreiter die Chance hat sie zu packen, wie wir es vorhin abgesprochen haben.

Also lasse ich sie ersteinmal ins Leere laufen und halte sie weiter provozierend auf Abstand.

Ich entscheide mich, erstmal die Nummer mit Lea durchzuziehen. Pezzi ist total fokussiert, ich darf ihn nicht hängen lassen. Abgesehen davon habe ich eins gelernt: Wenn sich etwas akut umbringen kann, dann kümmere dich drum. Alles weitere kann warten.

Ich nähere mich vorsichtig, achte darauf, nicht in ihr Blickfeld zu geraten, schätze ihre Geschwindigkeit und ihre Bewegungsrichtung ab. Zum Glück ist das nicht das erste Mal, dass ich versuche, Verrückte davon abzuhalten, sich wie Verrückte zu benehmen. So anders als ein Junkie auf Droge verhält sie sich nun auch nicht.

Ich passe den Moment ab, in dem sie - wieder - an Pezzi vorbeigerauscht ist und nun offensichtlich ihren nächsten Angriff vorbereitet. Von hinten packe ich zu und umklammere fest ihren Oberkörper und die Arme, um ihren Krallen möglichst wenig Bewegungsspielraum zu geben. Gleichzeitig benutze ich mein Knie, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wer keinen sicheren Stand hat, schlägt nicht zu. Alte Kampfsportweisheit und so. Was habe ich doch nützliche Hobbys.

Ich bin fest entschlossen, sie nicht loszulassen, bis Pezzi mir zu Hilfe kommt.

Lea hängt fest in Björns Griff, auch wenn sie sich dreht und windet, schnappt und faucht - sie kann sich nicht länger bewegen. Etwa vierzig Sekunden, bis das Auto die Straße neben euch passiert. Pezzi bemerkt es spätestens jetzt auch, da das Licht der hübschen Halogenscheinwerfer die Straßenlaternen doch um einiges überstrahlt.

Als ich den Gürtel löse und mich dran mache Lea die Arme zu fesseln, bemerke ich das Licht.

"Verflucht. Auto."

Ich schaue mich um, deute mit dem Kopf auf einen Stück des Grabens in der Nähe neben der Straße an dem ein Gebüsch steht. Dabei ziehe ich den Gürtel fest.

"Wir müssen uns Verstecken. Da im Graben... oder wir bringen Sie tiefer in den Wald... ... ... oder... ... wenn sie Hunger hat... den Fahrer?"

So sicher bin ich mir da noch nicht. Und der Gedanke von einen Menschen zu trinken ist mir sichtlich zuwider.

„Den Fahrer? Spinnst du???“ Ich schaue Pezzi ungläubig an. Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein! Ich mache eine Kopfbewegung in Richtung Graben. „Runter.“
Ohne Lea loszulassen lasse ich mich hinunterrutschen.