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Re: [April 23] First Date (Feodor / SL / offen)

Verfasst: Mo Mai 01, 2023 10:27 am
von Feodor Mykyta Petrov
Ich starre mich selbst im gläsernen Spiegel an und eine überschminkte Frau dahinter, die mich anstarrt. Für einen Augenblick ist der Moment wie eingefroren. Was ist passiert?
Langsam senke ich meine Hände, viel schneller schließe ich den Mund.
Scheiße!

Das Messer verschwindet in meinem Ärmel. Ich tue so als würde ich betrunken zur Seite schwanken. Viel schauspielern muss ich nicht, die Welt dreht sich, alle starren, starren, starren. Ich zeige ihnen mein Lächeln. Das ohne die Fänge. Ein betrunkenes, ein harmloses.
Haha, seht nur, der alte Mann ist durchgedreht.
Das ist das Lächeln von jemandem, der tief genug gefallen ist. So tief und so hart gefallen, dass sie alle dieses dumpfe Knacken erahnen können, das den meisten Menschen das Rückgrat bricht.

Ich torkele davon, mache einen Schlenker um zwei junge Frauen, die beide aussehen als wären sie von derselben Stange angezogen und für dieselbe Sorte Retortenleben gemacht worden. Sie weichen einen Schritt vor mir zurück und ich setze mir innerlich einen Flachmann mit Vodka auf die Liste mit Dingen, die ich herumschleppen sollte. Ich stinke nicht genug nach Alkohol für eine Nummer wie diese. Scheiße.

Die Straße heißt “Gnadenort”. Hier kommen ausgelutschte Großkettenkassierer her um zu sterben. Dortmund will heute Nacht nicht nur flirten, so scheint es. Graffiti schmiert ihr Falten und Narben ins Gesicht. Die Läden sind von der Sorte, die entweder ständig für den Geldwäschezirkus renoviert oder durchgewechselt werden oder einfach aus der dritten oder vierten Reihe wachsen wie Pilze und Schimmel.
Sobald ich etwas außer Sicht bin, torkele ich weniger schlimm und stütze mich an einer Hauswand ab, lausche einen Moment. Sobald ein geparkter SUV kurz die Sichtlinie zwischen mir und jemandem hinter mir brechen müsste, schiebe ich mich in einen Häusereingang und warte. Wenn ich Verfolger habe, dann müssen sie hier lang, um zu sehen, wohin ich verschwunden bin. Ich will keine Zigarette, aber meine Erinnerung an früher will eine. Merkwürdiges Gefühl. Wie die Erinnerung an Essen, die gut ist und Übelkeit erregt. Oder die an Sex, der einfach nichts mehr bringt.

Wenn sich keine Verfolger zeigen und es einigermaßen ruhig wirkt, werde ich weiter gehen. Dieser Ringwall, die Bundesstraße, kann nicht mehr weit sein. Königswall? Ich muss die tausend Namen meiner neuen Geliebten besser kennen lernen.

Re: [April 23] First Date (Feodor / SL / offen)

Verfasst: Mo Mai 01, 2023 11:28 pm
von Der Steiger
Du kommst zwischen Häuserreihen hervor und stehst vor der großen Straße, einstmals Ort der Stadtmauer, nun ein ewiger Wirbel aus Fahrzeugen, der sich um Dortmund dreht, die Besucher ins Innere zu ziehen scheint. Verfolger siehst du keine, aber du wirst verfolgt, von der Erinnerung an dieses Lächeln. Ein Lächeln ohne Gesicht. Grausam und kalt.

Hier am Wall sind weniger Menschen unterwegs, zu dieser späten Stunde, aber es ist nicht leer. Die Nordstadt bietet ein unerschöpfliches Reservoir an billigen Arbeitskräften und diese eilen nun Nachtschichten zu oder kehren erschöpft in ihre Bruchbuden zurück. Auf der anderen Seite kannst du die ersten Erotikläden erspähen, entlang der Straßen, die nach Norden vom Wall abzweigen, auch wenn der Wall selbst noch den Schein des Anstandes wahrt und von respektablen Gebäuden umgeben wird. Zu deiner Linken muss der Bahnhof liegen.

Ein Werbeplakat lächelt dich an. Spinnen auf deinem Rücken.

Re: [April 23] First Date (Feodor / SL / offen)

Verfasst: Di Mai 02, 2023 10:51 am
von Feodor Mykyta Petrov
Angst zu zeigen, ist schlecht. Ich will sie nicht zeigen, will mich nicht schütteln, also rücke ich meinen Mantel zurecht, richte meinen Kragen, fahre mir einmal durch meine Haare. Ich war immer stolz darauf, dass ich nie eine Glatze bekommen habe wie andere in meinem Alter.
Etwas in mir will die Angst nicht zulassen, will den Feind an der Kehle packen. Ich erwidere das Plakatlächeln, zeige Zähne. Menschenzähne, muss ich mich ermahnen.

Trotzdem wandere ich von dem davon weg, will mir einen Weg über den Ring suchen. Ich habe schon verstanden, er hat gewonnen. Wer auch immer hier sein Revier markiert, war deutlich genug.

Ich frage mich, ob er weiß, was hier in Dortmund passiert ist. Oder ob er der Grund ist? Ist dieses Lächeln das, woran all die stolzen Anarchen und Cammies gleichermaßen krepiert sind? Scheiße.
Falls ja, warum lebe ich noch?

Etwas wie das habe ich noch nie erlebt. Mir ist mittlerweile klar, dass es irgendeine Scheiße in meinem Kopf anstellt. Und ich weiß auch, dass es Dinge in der Nacht gibt, die so etwas mit mir anstellen können.
Hölle, es gibt solche Dinge auch am Tag für jeden anderen Idioten, der sich durch seinen Alltag schlägt. Gedankenverdrehen, Machtspielchen, Lügen, Einbildungen, Halluzinationen - das ist die normale Klaviatur des Umgangs zwischen Menschen. Klingt zynisch, aber das ist noch harmlos. Ich mache mir da keine Illusionen. Ich rechne Profite und Bilanzen für die Bratva und kann Menschenhandel von der Steuer absetzbar machen. Ich bin nicht zynisch, ich bin realistisch.
Was die Nacht mit einem anstellt, kann die ganze Klaviatur nur nachschärfen und den Ton einmal kräftig aufdrehen. Die meisten wissen das nicht, sind genauso dumm wie im Leben zuvor.

Ich nehme mich da nicht einmal aus. Was weiß ich schon? Aber immerhin weiß ich, dass ich bereits im Leben zuvor war, was ich jetzt bin. Wie gesagt, mein Griff in die große Wundertüte brachte mir anscheinend nicht die glühenden Augen, Klauenhände, zwanzig-Meter-Sprüngen oder drei-Sekunden-Sprints. Ich bin derselbe wie vorher… nur mit ein wenig zusätzlicher Schärfe.

…die mir hier nicht hilft. Die mir auch gegen Lebedevs Gartenschere nicht geholfen hat. Hier hilft mir, dass ich damit leben muss, dass nur einmal mehr jemand mir die Eier abschneiden kann - oder durch meinen Kopf walzt wie ein schlechter Trip. Ich kann nichts dagegen tun, genau so wenig wie ich auf Lebedevs Metzgerstuhl tun konnte, als er seine verdammte Gartenschere ausgepackt hat.

Hier weiß ich nicht einmal, was dahinter steckt. Lebedev hatte immerhin den Anstand, mir ins Gesicht zu sehen und sich die Hände blutig zu machen.
Das hier? Für mich sieht es aus wie einer, der sein Revier absteckt. Vielleicht ist er ein Teufel wie ich. Vielleicht ist er ein Geliebter der Stadt wie ich. Vielleicht ist es die Stadt selbst, ihr Land, ihre Dämonen, ihre Alpträume und Vergangenheit. Vielleicht sind es gefallene Engel, Weihwasser-Chemtrails oder 5G-Strahlung, die jemand durch ein Pentagramm geleitet hat wie in einer schlechten Serie.

Ich weiß es nicht, also verpisse ich mich erstmal.

Re: [April 23] First Date (Feodor / SL / offen)

Verfasst: Di Mai 02, 2023 9:01 pm
von Der Steiger
Du schleichst in die Gassen der Nordstadt zurück, Richtung deiner Zuflucht. Richtung der trügerischen Sicherheit, die sie dir bietet. Um dich herum strömen die Menschen, die von den Geschehnissen in dieser Nacht nichts ahnen. Dortmunds Bewohner - Fleisch und Blut deiner ersehnten Geliebten, die dich so böse misshandelt hat. Offenbar waren die Warnungen des Anwalts nicht ohne Grund.

Und diese Frage: Warum lebe ich noch? Du bist nicht sicher, ob du die Antwort wissen willst...

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