Ich setze mich auf der anderen Seite des Tisches in meinen Bürostuhl. Helles Leder, breit, hoch, schon etwas abgewetzt und durchgesessen, weil mein Vorgänger ein hässliches Arschloch war, das sich wenig um Äußerlichkeiten gekümmert hat.
Weil er es nicht musste, muss ich in Gedanken noch nachschieben. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Bonny sich nicht setzt. Sie starrt unseren Gast unter dem Tisch an, was jeder sehen kann, weil der verdammte Tisch aus Glas ist. Wenn ich denken würde, sie stellt sich an, würde ich sie fertig machen. Aber Tiere lügen nicht. Und etwas stimmt nicht.
Ich habe ihm zugesehen, wie er sein Jackett losgeworden ist. Ich sehe keine Waffe und ich sehe kein Blut. Ich erinnere mich an die Innenstadt, aber das hier ist nicht wie da. Würde ich den Unterschied merken? Aber dieser Mann hier vor mir spricht und er sieht nicht vertraut aus.
Ich erinnere mich auch an Coelin. Da war Bonny ähnlich. Könnte auch etwas anderes sein. Wie bei Coelin stehe ich vor der Wahl ob ich einfach dichtmache und den Kopf unten behalte oder ob ich versuche, etwas zu machen.
Ich lehne mich auf meinem Platz etwas vor, stütze die Ellenbogen auf den Tisch und lege die Hände locker gegeneinander.
“Sind Sie schon lange hier, in Dortmund?”, beginne ich etwas einleitendes Geplänkel. Und dann werfe ich einfach einmal meine Angel aus: “Sie haben Glück, mit ihrer Frage nach einem späten Treffen. Ich mag die Nachtzeit. Haha. Die Nachtschicht.” Ich senke die Hände und lehne mich auf meinem Platz wieder zurück. Ganz lässig und freundlich mache ich das. Wie einer, der sich das leisten kann. “Aber es sind wenige geworden, die das teilen.” Ich bleibe bei dem Plauderton und nicke ihm zu. “Mit Ihnen wieder einer mehr, vielleicht, Да, Pezzi?”
Ich könnte mich mit solchem Gerede auch zum Affen machen. Und das alles, weil ich mich auf den Hund verlasse. Sie hat verstanden, dass ich das tue. Für einen Sekundenbruchteil kann ich dieses Gefühl intensiver, absoluter Verbundenheit spüren. Sie und ich, ein Blut, ein Rudel. Sie hat verstanden, dass ich ihn gerade auf die Probe stelle. Sie hat ihr Grollen eingestellt und nun lauert sie.
Sie und ich, wir beide sehen ihn an und warten, was er tut.
[Mai 2023] ImmoScout24 [Feodor, offen]
- Feodor Mykyta Petrov
- Beiträge: 97
- Registriert: Di Apr 04, 2023 6:00 pm
Re: [Mai 2023] ImmoScout24 [Feodor, offen]
Mein Blick fällt durch die Tischplatte zu dem Tier. Verflucht. Weiß das Vieh, was ich bin? Das macht die Sache komplizierter. Ich starre es ein wenig an, lege den Kopf schief. Man sagte mir mal, dass man vor Hunden keine Schwäche zeigen darf. Ich verziehe den Mund etwas, als wäre mir der Hund zuwider. Das Ding in mir will Bonny anknurren. Ich verzichte drauf es auch zu tun.
"Ich bin hier aufgewachsen, Maxim. Steckte in dem selben Loch, wie die Jugendlichen, die ich heute betreue. Ich habe es geschafft mich da raus zu kämpfen und eine Berufung daraus gemacht, indem ich das, was ich durchgemacht habe, nutze, um Jugendlichen eine Chance zu geben. Die Kids nehmen es an, weil ich das selbe durchgemacht habe und für sie bin, was ich brauchen: Kampfsport als Ventil, Freund auf der Straße, Zuhörer, um sich seine Last von der Seele zu reden... oder eben Mentor auf dem Weg des Erwachsenwerdens. Dazu gehört eben auch die erste eigene Wohnung."
Ich bin ins Quasseln geraten. Aber ich glaube es ist ganz gut, wenn Po-Powitsch direkt weiß, womit er es zu tun hat. Ja. Die Nachtschicht. 'Neuerdings' wäre mir fast rausgerutscht. Doch bei der Frage, ob mit mir einer mehr dazu gehört, lässt mich irgendwie... aufhorchen. Ich hebe den Blick zu meinem Gegenüber an, verenge die Augen etwas. Dann kommt mir Mariam wieder ins Ohr: Gebe dich nicht zu erkennen.
"Ich mochte die Nacht schon immer lieber als den Tag. Und die meiste Arbeit in meinem Beruf passiert eben Abends... wenn die Jugendlichen alleine sind... die eigenen Gedanken einen einholen. Mein Tag... im Grunde hat sich alles in die Nacht verlagert."
"Ich bin hier aufgewachsen, Maxim. Steckte in dem selben Loch, wie die Jugendlichen, die ich heute betreue. Ich habe es geschafft mich da raus zu kämpfen und eine Berufung daraus gemacht, indem ich das, was ich durchgemacht habe, nutze, um Jugendlichen eine Chance zu geben. Die Kids nehmen es an, weil ich das selbe durchgemacht habe und für sie bin, was ich brauchen: Kampfsport als Ventil, Freund auf der Straße, Zuhörer, um sich seine Last von der Seele zu reden... oder eben Mentor auf dem Weg des Erwachsenwerdens. Dazu gehört eben auch die erste eigene Wohnung."
Ich bin ins Quasseln geraten. Aber ich glaube es ist ganz gut, wenn Po-Powitsch direkt weiß, womit er es zu tun hat. Ja. Die Nachtschicht. 'Neuerdings' wäre mir fast rausgerutscht. Doch bei der Frage, ob mit mir einer mehr dazu gehört, lässt mich irgendwie... aufhorchen. Ich hebe den Blick zu meinem Gegenüber an, verenge die Augen etwas. Dann kommt mir Mariam wieder ins Ohr: Gebe dich nicht zu erkennen.
"Ich mochte die Nacht schon immer lieber als den Tag. Und die meiste Arbeit in meinem Beruf passiert eben Abends... wenn die Jugendlichen alleine sind... die eigenen Gedanken einen einholen. Mein Tag... im Grunde hat sich alles in die Nacht verlagert."
- Feodor Mykyta Petrov
- Beiträge: 97
- Registriert: Di Apr 04, 2023 6:00 pm
Re: [Mai 2023] ImmoScout24 [Feodor, offen]
Ich lausche seinen Worten und beobachte seine Miene. Bonny lauscht seinem Tonfall und beobachtet seine Haltung. Ich weiß nicht, wieso ich weiß, dass sie das tut. Aber was sollte sie sonst tun.
Natürlich nicke ich gewichtig ab, was er mir erzählt. Jugendlichen helfen. Das mit dem Kampfsport ist interessant. Heißt, er ist vielleicht kein Weichei. Vielleicht hat er Eier.
Beide Gedanken sind höchst und tiefst ironisch, wenn ich sie auf mich beziehe. Ich bin mir nicht zu fein für Ironie.
“Das ist gut, was Sie machen. Helfen, auf der Straße”, äußere ich erst einmal eine Platitüde. Es ist mir nicht scheißegal, ich weiß nur, dass ich keinen Punk mit blauen Haaren hatte und dass meine Jungs ihm die Fresse polieren würden, wenn er sich an deren Söhne ranmacht. Aber das Ranmachen ist wohl auch nicht seine Arbeit. Es liegt genug Dreck auf der Straße, dass man ihn nicht auch noch aus Vorgärten ziehen muss.
Ich tue so als würde ich kurz nachdenken und vielleicht etwas durchrechnen. Beiläufig kraule ich Bonny im Nacken. Sie beruhigt sich, weil er und ich reden anstatt zu kämpfen, genau wie bei Coelin.
“Die OWG Wohnen hat häufig Wohnungen frei wie diese”, beginne ich. “Hohe Fluktuation, meist wohnen da Azubis, Studenten, sowas. Könnte auch passen für Ihre Leute.” Dann werfe ich kritisch ein: “Mietkaution ist drei Monatsmieten. Gibt es zurück, wenn beim Auszug alles in Ordnung ist. Wenn Ihre Leute das nicht haben, müssen Sie und ich eine Lösung finden. Wir bleiben nicht auf Reparaturen und Mietrückstand sitzen.” Das ist nichts außergewöhnliches, aber das nächste schon: “Wenn Sie und ich lernen, dass wir uns aufeinander verlassen können, dann kann ich Ihre Leute bevorzugt nehmen. Weil wir wissen, woran wir miteinander sind.”
Ich weiß nicht, woran ich mit ihm bin. Aber ich sehe Möglichkeiten und einer wie er ist keine schlechte Bekanntschaft, wenn man der Stadt opfert so wie ich. Ich bin mir auch nicht sicher, was ihn selbst angeht. Bonny ist sich sicher, doch sie ist sich auch sicher darüber, dass ein Stück Darm besser schmeckt als Herzblut.
“Wie fangen wir das am besten an, Pezzi?” Ich lasse ihn den nächsten Zug machen. Eingeweide oder Herzblut, am Ende kann mir egal sein, ob meine Mieter tot oder lebendig sind, solange sie zahlen und solange die Geschäfte laufen. Aber ich gebe trotzdem hinzu: “Es ist richtig, in der Nachtschicht läuft alles auf. Ich mag sie darum. Beste Zeit für Klarheit.”
Natürlich nicke ich gewichtig ab, was er mir erzählt. Jugendlichen helfen. Das mit dem Kampfsport ist interessant. Heißt, er ist vielleicht kein Weichei. Vielleicht hat er Eier.
Beide Gedanken sind höchst und tiefst ironisch, wenn ich sie auf mich beziehe. Ich bin mir nicht zu fein für Ironie.
“Das ist gut, was Sie machen. Helfen, auf der Straße”, äußere ich erst einmal eine Platitüde. Es ist mir nicht scheißegal, ich weiß nur, dass ich keinen Punk mit blauen Haaren hatte und dass meine Jungs ihm die Fresse polieren würden, wenn er sich an deren Söhne ranmacht. Aber das Ranmachen ist wohl auch nicht seine Arbeit. Es liegt genug Dreck auf der Straße, dass man ihn nicht auch noch aus Vorgärten ziehen muss.
Ich tue so als würde ich kurz nachdenken und vielleicht etwas durchrechnen. Beiläufig kraule ich Bonny im Nacken. Sie beruhigt sich, weil er und ich reden anstatt zu kämpfen, genau wie bei Coelin.
“Die OWG Wohnen hat häufig Wohnungen frei wie diese”, beginne ich. “Hohe Fluktuation, meist wohnen da Azubis, Studenten, sowas. Könnte auch passen für Ihre Leute.” Dann werfe ich kritisch ein: “Mietkaution ist drei Monatsmieten. Gibt es zurück, wenn beim Auszug alles in Ordnung ist. Wenn Ihre Leute das nicht haben, müssen Sie und ich eine Lösung finden. Wir bleiben nicht auf Reparaturen und Mietrückstand sitzen.” Das ist nichts außergewöhnliches, aber das nächste schon: “Wenn Sie und ich lernen, dass wir uns aufeinander verlassen können, dann kann ich Ihre Leute bevorzugt nehmen. Weil wir wissen, woran wir miteinander sind.”
Ich weiß nicht, woran ich mit ihm bin. Aber ich sehe Möglichkeiten und einer wie er ist keine schlechte Bekanntschaft, wenn man der Stadt opfert so wie ich. Ich bin mir auch nicht sicher, was ihn selbst angeht. Bonny ist sich sicher, doch sie ist sich auch sicher darüber, dass ein Stück Darm besser schmeckt als Herzblut.
“Wie fangen wir das am besten an, Pezzi?” Ich lasse ihn den nächsten Zug machen. Eingeweide oder Herzblut, am Ende kann mir egal sein, ob meine Mieter tot oder lebendig sind, solange sie zahlen und solange die Geschäfte laufen. Aber ich gebe trotzdem hinzu: “Es ist richtig, in der Nachtschicht läuft alles auf. Ich mag sie darum. Beste Zeit für Klarheit.”