[April 23] Launch Day Fail (Nikolas / SL)

[Der Steiger]

Mit dem Rücken zur Wand kommst du nur langsam voran, aber immerhin kommt das potentielle Verderben im linken Tunnel auf dich zu. Tatsächlich dauert es nicht lange und du spürst Vibrationen. Ein Licht erscheint und dann rattert die Bahn mit einem Höllenlärm an dir vorbei. Damit dich der Windstoß nicht mitreißt, hältst du dich an den Kabeln fest, gerade noch rechtzeitig. Die Tasche zerrt an deinem Arm. Dann ist es vorbei. Dunkelheit umfängt dich wieder, nun noch tiefer als zuvor, nach dem hellen Licht.

Du tastest dich an den Kabeln entlang. Warum seid ihr eigentlich nicht verdunkelt eingestiegen? Deine Hand fährt über einen Kasten, zu dem die Kabel hinführen. Offenbar ein Ventilator. Luftzirkulation. Nützlich für Sterbliche. Weniger für dich. In der Straßenbahn gibt es bestimmt gepolsterte Sitze. Du tastest weiter. Kommst zum nächsten Kasten.

Dann blendet dich ein Licht. Eine Taschenlampe, direkt hinter dir.

"Das ist ja nicht mitanzusehen, Kind." Maras Stimme ist nicht amüsiert, eher müde. "Wir wollen heute noch ankommen."

[Nikolas Grießhammer]

Die Bahn ist um einiges lauter, wenn man direkt neben ihr in einem Tunnel steht, als erwartet. Ich bin froh, dass ich meine Sinne nicht geschärft habe, sonst wäre mir gerade der Kopf explodiert. Blind und taub könnte ich jetzt durch den Tunnel stampfen. Aber vielleicht ja doch, ist doch echt scheiße dunkel hier.

Plötzlich das Licht, Mara taucht hinter mir auf und ich schrecke auf. “Fuck!” Es platzt aus mir raus. “Kannst dich doch nicht so anschleichen.” Ich neige meinen Kopf zur Seite und lasse das Licht auf den Weg vor mir scheinen. Anscheinend bin ich ihr zu langsam, soll sie doch vorgehen.

“Ich bin ja auch keine Tunnelratte”, murmel ich vor mir hin. Aber ja, wir sollten uns etwas beeilen. “Aber ich denke hier lang wird am schnellsten gehen.”

[Der Steiger]

Der Tunnel scheint zunächst kein Ende zu nehmen. Aber schließlich ist ein Licht in der Ferne zu erahnen - diesmal ohne begleitende Vibrationen. Eine Station. Kreuzstraße. Ziemlich was los hier, selbst um diese Zeit sind eine Menge Menschen zu sehen, die auf die Bahn warten. Bevor ihr zu nahe heran kommt, wendet Mara sich wieder um. "Diese Tunnel sind gefährlich. Wenig Raum zum Ausweichen. Wir könnten es oberirdisch versuchen. Hauptsache, wir kommen irgendwann an."

Sie schüttelt den Kopf. "Uns rennt die Zeit davon."

[Nikolas Grießhammer]

Ich versuche, mir die Karte in Erinnerung zu rufen. Wir sind nicht mehr weit, vielleicht eine Stunde maximal vom Hauptbahnhof. “Wollen wir wirklich uns wieder da hoch, an den Leuten vorbei und die potentiellen Kameras am Bahnsteig?” Der Gedanke gefällt mir nicht, aber mich hier unten zu verlaufen gefällt mir auch nicht so recht.

“Wir sind nicht mehr weit, wenn ich mich richtig erinnere. Unser Ziel liegt in Richtung Norden, oder?” Mein Blick geht zurück zu der Menschenmenge, die eifrig auf ihren Zug warten. “Lass uns nach oben gehen, bevor wir uns hier unten verlaufen oder schlimmer als Fleck an der U Bahn enden.”

[Der Steiger]

"Gut. Wir verbergen uns, dann schleichen wir hinauf. Falls wir uns trennen, treffen wir uns am Bahnhof, auf der Bahnhofstoilette. Frauentoilette, letzte Kabine."

Du tust wie dir geheißen und trittst ein weiteres Mal in die Schatten ein. Schleichst durch die Menschenmenge hinauf. Die Szenerie draußen gleich keineswegs der leeren, ruhigen Straße, die du zuletzt gegangen bist. Du siehst Restaurants und Cafes, siehst feierfreudige Sterbliche durch die Straßen ziehen. Scheint ein Ausgehviertel zu sein, mit vielen jungen Leuten. Sie alle ignorieren die Abscheulichkeit mit ihrer seltsamen Tasche, die da aus der Erde aufgestiegen ist. Dir bleibt wenig mehr übrig, als der Straße zu folgen.

Nach etwa zwei Kilometern Wegstrecke - du hast eine Brücke überquert, unter der Bahnschienen verliefen, aber du bist ziemlich sicher, dass diese nicht nach Norden führten - kommst du an eine Kreuzung. Und hier ist der Bahnhof tatsächlich ausgeschildert, also biegst du rechts ab. Du musst der Innenstadt sehr nahe sein... sehr nahe an dem Ort, wo so viele Kinder Kains verschwunden sind.

Dann bleibst du stehen und genießt ein absonderliches Schauspiel. Da ist ein Gebäude zu deiner linken, ein beinahe quadratischer Klotz, auf dessen Spitze sich ein riesiges U dreht. Darunter - in großen Fenstern - laufen Videos. Im Moment sieht es so aus, als würde jemand diese Fenster mit Bier füllen. Langsam und schaumig fließt die goldene Flüssigkeit in die riesigen Rechtecke. Es ist faszinierend. Aber die Zeit läuft dir davon. Du folgst den Schildern auf eine Straße, die "Königswall" heißt. Und schließlich liegt er vor dir.

Dortmunds Bahnhof. Ein architektonisches Ungetüm.

Du suchst die Toilette auf, wartest auf einen günstigen Augenblick und schleichst dich dann in die Damentoilette. Aber Mara ist nicht dort.

[Nikolas Grießhammer]

Rauf, rauf, rauf - immer schön die Treppe rauf. Eigentlich würde ich mir gerne etwas Nahrung gönnen, während ich an diesen ganzen besoffenen Idioten vorbeigehe. Es wäre so einfach, aber die Zeit rennt mir davon. Also raus aus der Haltestelle und wieder an die Oberfläche, der Karte folgen.

Es dauert nicht lange und endlich bin ich am Ziel. An der Bierwerbung vorbei und die Toilette finden. Die sind nicht allzu schwer zu finden, immer der eigenen Nase nach oder so. Trotz der Uhrzeit sind sie nicht verwaist, hätte ich mir eigentlich auch denken können. Also muss ich den richtigen Moment abwarten und mich hinein schleichen.

Von Mara keine Spur, wie erwartet. Ich erinnere mich an ihre Anweisung und gehe zur letzten Kabine und schlüpfe hinein. Entweder ist sie schon hier oder sie sollte gleich auftauchen. Bitte tauch auf. Lass mich nicht alleine auf dem Damenklo am Dortmunder Hauptbahnhof.

[Der Steiger]

Die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten ticken dahin. Der Morgen wird kommen, so sicher wie die nächste Fahrpreiserhöhung. Du wirst Zeuge einiger Verdauungsprozesse, die dir ein für allemal klarmachen, dass Frauen nicht nur Blümchen pupsen. Tick-Tock. Graffiti an der Wand weist darauf hin, dass ein gewisser Kevin "echt krank" ist. Tick-Tock. Der Wasserhahn des mittleren Waschbeckens tropft.

Ist eine halbe Stunde vergangen? Mara ist immer noch nicht da.

[Nikolas Grießhammer]

Oh du mieses Stück. Lässt sie mich zappeln? Ist das eine Art Bestrafung? Geht es schon los? Natürlich war mir klar, dass es ordentlich Ärger geben würde, für die versaute Aktion von heute Nacht. Aber jetzt schon? Natürlich trifft es mich wieder, alle sind gegen mich. Neider und Hater sind so drauf.

Oder ist ihr was passiert? Scheiße, das wäre noch schlimmer. Das passt mir so gar nicht in den Kram, also so richtig ficken würde mich das. Ich schaue auf meine Uhr und beschließe, ihr noch etwas Zeit zu geben. Ansonsten muss ich mich alleine auf die Suche machen, bevor ich hier noch einschlafe und mir sonst was hole.

[Der Steiger]

Nun, da es bereits deutlich nach Mitternacht ist, lassen auch die Damenbesuche nach, was aber nicht unbedingt etwas am Geruch ändert. Der Wasserhahn tropft immer noch. Schließlich, du willst die Hoffnung gerade aufgeben, hörst du die Tür. Eine späte Besucherin?

"Nikolas..." Ein Flüstern. "Nikolas, bist du da drin? Mach auf."

Könnte Maras Stimme sein. Aber Mara klingt sonst... anders.

[Nikolas Grießhammer]

Eine Welle der Erleichterung erreicht mich, als ich eine Stimme höre. Gott sei Dank, sie ist da. Meine Hand greift bereits nach dem Türgriff und will sie aufmachen. Doch etwas lässt mich zögern. Etwas stimmt nicht, die Stimme kommt mir vertraut vor und doch…

“Alles in Ordnung?” Meine Hand zittert leicht, als ich die Tür öffne. Vielleicht war es ja doch einfach nur ein Todesurteil.